Choose your poison

MMOGs sind die neuen Killerspiele. Mittlerweile ist ja offenbar auch dem letzten hinterwäldlerischen Franken der Kronleuchter entflammt und er musste einsehen, dass das mit der Killerspiel-Hetze und so nicht so ganz geklappt hat. Hetz-Großmeister Pfeiffer hat praktisch über Nacht den Hut genommen und verstohlen dem Parkett den Rücken gekehrt und Dank der FDP wird nun sowieso alles besser. Errrrm, ja, oder so ähnlich. Trotzdem darf die gut geölte Anti-Games-Propaganda-Maschinerie auch in Zukunft nicht einfach so ohne Weiteres still stehen, weshalb man sich also schnell einen anderen Teilaspekt von Spielen herausgreift und ihn solange mit Negativ-Schlagzeilen belegt, bis praktisch die gesamte Branche und mit ihr ein Millionenpublikum ein weiteres Mal diffamiert werden und nunmehr als dumpfe Drogenszene dargestellt werden können, in der Gamer in die Media-Märkte dieser Welt pilgern wie Pilzköpfe in Opium-Höhlen.

Nur diesmal bin sogar ich geneigt, den Kritikern da draußen zumindest in Teilen Recht zu geben. Spielesucht ist meines Erachtens tatsächlich ein ernst zu nehmendes Problem, dass nicht unter den Teppich gekehrt werden sollte und das in Zeiten von World of Warcraft und Co. möglicherweise wirklich seit einiger Zeit verstärkte Verbreitung erfährt.

Entsprechend aufgeschlossen habe ich heute zunächst einem Artikel bei Spiegel Online zur Thematik gegenübergestanden, in welchem auf eine aktuelle Studie des “Computerspielforschers” Florian Rehbein verwiesen wird. An dem Punkt wurde ich dann schon ziemlich misstrauisch, immerhin gehört Rehbein dem Kriminologischen Forschungsinstitut Niedersachen (KfN) an, jener Anstalt also, der auch Killerspiel-Hetzer Pfeiffer dereinst entsprungen ist. Gleich zu Beginn des Artikels hatte mich zwar schon eine andere Formluierung stutzig gemacht, aber hier konnte ich immerhin noch nachvollziehen, dass man so einen Artikel ja in der heutigen Zeit möglichst reißerisch eröffnen sollte, um auf die für die Werbebanner-Vermarktung nötigen Klickzahlen zu kommen. Wörtlich hieß es zu Beginn des Artikels nämlich:

“Die Spiele würden immer raffinierter auf ihr Suchtpotential hin ausgerichtet, sagte der Vorsitzende des Fachbeirats Glücksspielsucht, Jobst Böning, am Mittwoch in München vor einem Symposium zur Computerspielsucht. Dadurch würden “die Schwachen, Kranken und Gescheiterten” abgeschöpft. Die Spieleindustrie mache das auf Umwegen ähnlich wie früher die Zigarettenhersteller.” (SpOn vom 04.11.2009)

Das war mir dann doch schon ein weeeenig zu verallgemeinert. Immerhin kann man nun wirklich nicht davon ausgehen, dass jedes Spiel den gleichen Suchtfaktor besitzt, genau wie nicht jedes Buch und jeder Film auf die gleiche Art und Weise vor die Mattscheibe bzw. an die toten Bäume fesseln. Mal davon abgesehen, dass hier auf enorm polemische Weise die Tatsache unter den Teppich gekehrt wird, dass Nikotin durch chemische Prozesse tatsächlich zu einer körperlichen Abhängigkeit führt, die in ihrer Ausprägung mit der Wirkungsweise von Kokain und ähnlichem vergleichbar sind, während die Faszination Computerspiel nach wie vor auf dem Prinzip von Zuckerbrot und Peitsche beruht und durch möglichst clevere Spielmechaniken an den Monitor bindet. Aber nun denn…

Trotzdem musste ich bei der Forderung, die Computerspieleindustrie müsse hier mehr Verantwortung übernehmen ein wenig mit dem Kopf nicken. Ja nu, dann drückt den psychologischen Hilfsdiensten doch ein paar Euro an Fördermitteln in die Hand und macht ein wenig positive PR für Euch. Kann ja nicht schaden. Da der Verfasser der Studie aber nunmal bei eben jenem Verein arbeitet, der in der Vergangenheit bereits erfolglos versucht hat, mit raffgierigen Händen die Aufgaben der USK an sich zu reißen – und somit deren komplette finanzielle Basis – halte ich es für äußerst gefährlich, derartige Forderungen völlig unkommentiert in einem derart großen Medium zu veröffentlichen.

Aber Suchterreger sind ja nunmal hochgradig gefährlich – und deshalb wird das schon alles seine Richtigkeit haben. Nicht wahr? Immerhin hat der Herr Rehbein seine Studie ja auch mit ordentlich Zahlen unterfüttert. So seien insgesamt gut 45.000 Schüler befragt worden, mit dem Ergebnis, dass bei 3 Prozent der männlichen 15jährigen (sic!) suchtähnliche Symptome zu erkennen seien, bei den Mädchen immerhin noch 0,3 Prozent!!!! Im Vergleich zum Kreis der grob von mir über den Daumen gepeilten 98% der höchst abhängigen Raucher in Deutschland eine geradezu Besorgnis-erregende Zahl. Als Exzessive Gamer gelten übrigens all jene, die mehr als 4,5 Stunden täglich am Computer oder an der Konsole spielen. Komisch, beim Fernsehen werden solche Zeiten immer als völlig normaler Durchschnitt hingenommen.

Ich für meinen Teil kann ja leider sowieso nicht verstehen, wie man sich in aller Regelmäßigkeit für so lange Zeit vor ein Spiel hocken kann, habe ich doch meist nach einer Stunde bereits komplett die Schnauze voll für einen Tag, aber nunja…. Zu Gute halten sollte man Herrn Rehbein zumindest, dass er offenbar doch ziemlich genau zwischen Online-Spielen und anderen Genres unterscheidet. Außerdem dürfte er der erste sein, der mit einer derart hohen Datenbasis zu solchen Ergebnissen kommt. Allerdings hätte ich mir hier von SpOn einmal mehr besseren Journalismus und damit den Link zum Ausgangsmaterial gewünscht. Denn leider ist die Studie derzeit ofenbar noch nicht öffentlich einsehbar. Zumindest auf der Website des KfN war sie vorhin noch nirgends zu entdecken. Aber SpOn hat es sich lieber mal wieder ganz einfach gemacht und einfach die zugehörige AP-Meldung (die vermutlich ihrerseits weitestgehend eine Pressemitteilung des KfN wiedergeben dürfte – aber ich mutmaße nur blind ins Blaue) abgeschrieben.

Aber ich sag’s Euch: Diese Spiele… die sind gefährlich! Der reinste Drogensumpf ist das. Sowas hätte es in unserer Jugend nie gegeben. Niemals!

Eidt: Ich möchte an dieser Stelle übrigens nicht den Eindruck erwecken Herrn Rehbein diskreditieren zu wollen. Generell habe ich sehr viel Achtung vor seiner Leistung, vor allem in Anbetracht der Datenmenge von 45.000 Befragten. Deshalb glaube ich generell schon, dass man von einem ausgezeichneten Ausgangsmaterial für die Studie ausgehen kann und damit sehr viel geleistet wurde. Mich würden allerdings einfach mal die gestellten Fragen etc. interessieren. Der Artikel lässt aufgrund seiner Formulierungen leider zunächst sehr scharf aufhören und baut bei mir eine Abwehrhaltung auf, die sich gegen Ende zwar etwas abbaut, leider jedoch nicht komplett ausgeräumt werden kann. Kommt halt alles vom KfN *seufz*.

8 Comment

  1. *im Pfeiffer rauch*
    äääh… *in der Pfeife rauch*, meinte ich natürlich 😉 View all comments by Christian

  2. Hmm, schwieriges Thema.
    Ich bin ja immer noch der Meinung das Spielesucht sehr viel mit dem sozialen Stand des Spieles zu tun hat.
    Wer im Real Life keine sozialen Beziehungen entstehen lassen kann, sucht sich diese halt in der virtuellen Welt.

    Daran sind aber meiner Meinung nach nicht die Spiele als solche schuld, sondern ich denke das es zu 99% mit der Psyche zu tun hat.
    Und natürlich sind MMORPGS da der Suchtklotz #1. Sie wurden halt so gemacht, dass es immer was neues zu erreichen gibt usw.

    Aber es zu verallgemeinern, dass alle die WOW spielen Süchis sind, wie es manch andere Medien gerne machen, ist zu weit hergeholt.
    Ich spiele selber WOW, wenn es hochkommt ca 2 Stunden/Tag. Aber es gibt halt auch mal Tage an denen ich gar nicht spiele. Das kann auch gerne mal eine ganze Woche sein. Und ich denke nicht das sich dieser Status bei mir irgendwann in die vollkommene Sucht ändert, eben weil ich nicht viel Wert auf meine WOW-Kontakte lege, sondern auf richtige in meinem Umfeld, welche ich jahrelang kenne. View all comments by Rauschi

  3. Im Artikel heißt es, dass das Suchtpotential vom sozialen Stand weitestgehend unabhängig sei – und das sehe ich tatsächlich ähnlich. Gerade oW dürfte gezeigt haben, dass es erstmal völlig egal ist, welchen sozialen Status ich genieße, um dem spiel mit all seinen Konsequenzen zu verfallen. Bei sozial gut gestellten Personen dürfte das auffangende soziale Netz allerdings sehr viel stärker ausgeprägt sein… View all comments by Christian

  4. Aus eigener Erfahrung hat Spielesucht wenig bis gar nix mit sozialem Stand zu tun. Ich war selbst süchtig, entspreche aber auch ziemlich den Klischee des Nerd-Gamers (Einzelgänger, Videogaming ist mein Haupthobby etc. etc.), aber ich habe auch Bekannte die WoW-süchtig waren (und zwar RICHTIG WoW-süchtig, so dass man mit ihnen NIX mehr anfangen konnte, außer es hatte was mit WoW zu tun), und die waren vor ihrer Sucht sozial sehr gut gestellt.

    Das einzig positive das ich der ganzen Sache abgewinnen kann ist, dass WoW-Sucht (oder Spielesucht im allgemeinen) scheinbar leichter zu bewältigen ist als Rauchen oder Trinken oder ähnliches. View all comments by m.a.

  5. 4,5 Stunden pro Tag ist aber wirklich ziemlich viel. OK, bei der Glotze mag es normal sein, aber die Mehrheit wird den Fernseher oft nur nebenbei laufen haben (so wie es bei mir grad auch der Fall ist). ALlerdings glaube ich nicht, dass ich früher weniger gespielt habe. Da war es halt nicht WoW, sondern ISS, Zelda oder ähnliches. Vermutlich muss man solche Erfahrungen einfach machen und dann einsehen, dass besser dosiertes Zocken sinnvoller für das eigene Sozial- und Berufsleben ist. View all comments by Vagabond

  6. Ich bin mir eigentlich ziemlich sicher das, würde ich wieder mit WoW anfangen, ich nach einer Weile wieder verstärkt Zeit da reinpulvern würde.

    Und ich habe damals zu einer Zeit gespielt als man nicht ständig angefüttert wurde… heute dürfte es noch mehr diesen “nur diesen Level noch”-Sog haben. Grinding ist toll. Das hat was Zen-mäßiges.
    Das viele Menschen das ähnlich sehen beweisen Spiele wie Borderlands, deren einziger Inhalt “Loot” ist.

    An dieser Stelle auch nochmal ein Hoch auf Torchlight!

    Ansonsten finde ich die Zahl von 3% schon bedenklich, denn wie du schreibst gibt es hier ja keine Stoffe die tatsächlich zur Abhängikeit führen… das schafft das Spiel ganz ohne chemische Kriegsführung (spricht immerhin für die Designer ;)). Ich denke mal, ausgeweitet auf höhere Altersgruppen die viel täglichem Stress ausgeliefert sind dürften die Prozente sogar um einiges höher sein.

    Ansonsten finde ich 4 1/2h sind IMO recht durchschnittlich… in meinen besten Jahren war da gerade mal Halbzeit angesagt – ansonsten locker 6-7 Stunden pro Tag (so zwischen 4. Klasse – 11. Klasse). View all comments by Aulbath

  7. Ivor Bigbotty says:

    Ich fände bei dieser Studie wirklich wichtig zu wissen, was genau die Sucht definiert und somit zu den 3% Süchtigen führt.
    Zocken ist primär eine Aktivität die man nicht mit z.B. Zigaretten- oder Alkoholkonsum gleichsetzen kann. Der Hauptunterschied wäre, dass eine hohe Aktivität nicht automatisch zu Gesundheitsschäden führt. Daher halte ich es für sehr sehr wichtig die Schwelle zur behandlungsbedürftigen Sucht zu definieren und auch zu diskutieren. Vorher machen Zahlen wie 3%, 5%, 20% keinen Sinn. View all comments by Ivor Bigbotty

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