DROGGELBECHER!

Bevor wir uns Edna bricht aus jetzt einmal richtig zur Brust nehmen, sollten wir eines noch schnell von vornherein klarstellen: Edna ist nicht verrückt. Oder irre. Edna ist völlig normal. Das bestätigt ihr auch ihr blauer sprechender Stoffhase Harvey immer wieder gerne. So, hätten wir das auch geklärt. Können wir also dazu übergehen dem Spiel zu attestieren, dass es schlichtweg phantastisch ist. Jawohl, phantastisch! Und zwar im positivsten aller positiven Sinne. Soviel Liebe und Detailversessenheit hat man lange nicht mehr in einem Spiel erleben dürfen. Ja gut, es sieht vielleicht ein wenig zu sehr nach schlecht aufgelöstem, schnell dahingekritzelten Flashgame aus, aber irgendwie gewinnt es dadurch nur noch umso mehr an Charme und Esprit. Und in Nullkommanix hat man sich auch daran gewöhnt und beginnt, den simplen, aber äußerst drolligen Zeichenstil in sein Herz zu schließen. Genau wie Edna und ihren Plüschhasen. Und Alumann. Und Hoti und Moti. Und den Bienenmann. Und und und… und überhaupt! Und Droggelbecher! DROGGELBECHER!

Allein schon diesen vielen völlig abgedrehten Charakteren zu begegnen und mit ihnen die abstrusesten Dialoge zu führen macht so unglaublich viel Spaß, dass man gar nicht anders kann als einfach immer weiter zu spielen. Da ist es völlig egal, dass im späteren Spielverlauf ein oder zwei Rätsel doch ein wenig zu sehr an den Haaren herbei gezogen wirken. Für die Nummer mit dem Speiseplan mußte ich dann leider doch mal die Komplettlösung bemühen. Alles in allem wirken die Kopfnüsse aber wie aus einem Guss und in den meisten Fällen… nunja, nicht unbedingt logisch, aber im Rahmen des Edna’schen Universums kausalkettentechnisch zumindest absolut schlüssig.

Rätsel? Kopfnüsse? Wie? Was? Oh, hätte ich das vielleicht erwähnen sollen? Edna bricht aus ist ein Adventure. Und zwar eines im ganz klassischen Sinn. So ganz in der Tradition der guten alten Zeit. Zwar nicht 100%ig in der Tradition der Lucas Arts-Klassiker aus der Blütephase des Point’n’Click-Gefrickels, so wie es sich die Jungs und Mädels von Daedalic auf die Fahnen und auf die Packung geschrieben haben, aber immer noch sehr nah dran. Sogar so nah dran, dass alles, was ich an Adventures in den letzten Jahren gesehen habe, ziemlich blass aussieht. Das letzte, das ich wirklich selbst gespielt habe, war The Westerner. Aber selbst das hatte schon so seine Schwächen. Zu linear schienen mir die Rätsel. Ansonsten bin ich im Laufe der Jahre das Gefühl nicht los geworden, dass man sich in der Adventure-Sparte zum obersten Ziel gemacht hatte, das Genre punktgenau gegen die Wand zu fahren. Hat ja auch beinahe geklappt. Mein Eindruck war ja, dass Adventures immer mehr zu einer inspirationslosen Kistenschieberei verkamen, wie sie in Resident Evil anfangs noch ganz okay war, irgendwann aber nur noch nervte. Mag aber gut sein, dass ich mich irre und das nur mein rein subjektives Empfinden war.

Bei Edna jedenfalls ist die Welt endlich wieder im Lot. Zumindest auf spielerischer Ebene. Denn Edna’s Welt ist alles andere als heile, auch wenn es zunächt vielleicht so wirken mag. Gut, die junge Dame sitzt in der Klapsmühle und spricht mit ihrem Püschhasen, aber sowas kann ja mal passieren. Ok, der Plüschhase antwortet Ihr auch und ist zu einem guten Teil mit dafür verantworlich, dass Edna sich in der Vergangenheit immer wieder in Schwierigkeiten gebracht hat. Aber ansonsten macht das ungleiche Pärchen doch einen völlig normalen Eindruck auf mich. Wenn das doch nicht diese unglaublich tragische wie traurige Geschichte im Hintergrund lauern würde, die sich langsam Bahn bricht und nach und nach einige düstere Erinnerungen zu Tage befördert, die vielleicht lieber weiterhin im hintersten Eckchen von Edna’s Gehirn verscharrt blieben.

Diesen Wunsch hat auch der Anstaltsleiter dieses abgedrehten Irrenzoos, der widerwärtig scheinende Dr. Marcel, der immer und immer wieder versucht, Edna’s Gehirn einer kleinen Wäsche zu unterziehen, mit dem finsteren Ziel, ihr Gedächtnis zu löschen. Warum tut er das? Und wer oder was steckt wirklich hinter dem Tod seines ekligen kleinen Sohns Alfred vor einigen Jahren? Wer hat diese unsympathische kleine Drecksmade getötet? War es wirklich Mattis, der Vater unserer Titelheldin? Diese und viele weitere Fragen entspannen sich im Laufe der Zeit und wandeln den ersten Eindruck von einem durchweg fröhlichen, kunterbunten und schrillen Spiel langsam zu einer bewegenden, leicht düsteren Erfahrung, die es aber trotzdem schafft, nie ins Depressive abzudriften, sondern stets die rechte Portion Humor durchschimmern zu lassen. DROGGELBECHER!

Gepaart mit der wunderbar einfachen Bedienung ergibt das ein wunderbar rundes Spielerlebnis, dass man so schnell garantiert nicht vergessen möchte. Weil es uns berührt. Weil es uns bei der Hand nimmt und durch eine wundervoll gezeichnete Welt führt. Weil es uns zum Nachdenken bringt. Und weil es uns – und das ist das Wichtigste von allem – so herrlich zum Lachen bringt. In solch ein Spiel investiere ich dann auch gerne meine spärliche Freizeit, ohne das Gefühl zu haben, irgendwas da draußen vor der Fensterscheibe zu verpassen. Kommt in letzter Zeit leider auch immer seltener vor. Bei Edna bricht aus merkt man allerdings zu jeder Zeit, mit welchem Enthusiasmus und welcher Besessenheit die Entwickler an die Arbeit gegangen sind und wieviel Liebe sie in das Projekt gesteckt haben. Ungeachtet sämtlicher technischer Unzulänglichkeiten. Wer versuchen würde, Edna auf diesen Aspekt zu reduzieren, würde ihr nichtmal annähernd gerecht. Hier war ein kleines eingeschworenes Team von Adventure-Liebhabern am Werke, will man meinen, die nicht genug bekommen können von den Monkey Islands und Day of the Tentacles dieser Welt und die den Spirit der vergangenen Tage unbedingt wiederbeleben wollen.

Und das fehlende Werbebudget, um solch ein Kleinod ordentlich vermarkten zu können, macht man dann schlicht durch mindestens genauso abgedrehte Ideen wett, wie man sie auch im Spiel finden kann. Wer käme sonst schon noch auf den Trichter, die Publishing-Lizenz des Games für Tuvalu bei ebay zu versteigern? Oder denjenigen, die das Spiel im Medienmarkt aus dem Kinderregal retten und es an der richtigen Stelle einsortieren einen Song durch den Storywriter schreiben und singen zu lassen? Soviel steht fest: Daedalic macht da momentan einen ganz feinen Job, indem sie zwar kleine, aber äußerst feine Spiele bringen, die durch außergewöhnlich gute Ideen und enorm viel Charme glänzen. Zuletzt mit Experience 112, aktuell mit Edna und demnächst vermutlich mit The Whispered World, einem weiteren Advenure, dass mir allein schon aufgrund seines Grafikstils gefallen dürfte. Weiter so, bitte.

Mein Fazit: DROGGELBECHER!

4 Comment

  1. Gerade der Grafikstil hat mich bei dem Spiel sehr abgeschreckt, wodurch ist erst einmal nicht auf meiner Adventure-CheckOut-Liste gelandet ist. The Whispered World sieht dagegen fantastisch aus…

    Wenn aber Edna wirklich sowohl spielerisch als auch humoresk und narrativ interessant ist, werde ich es mir merken. View all comments by HomiSite

  2. Also von meiner Seite ist es eine ABSOLUTE EMPFEHLUNG!
    Und wie oft empfehle ich mal ein Spiel? Das letzte Mal ist ja fast schon wieder ein Jahr her.
    Allein dass man wirklich mit JEDEM Gegenstand, den man anklicken kann, auch reden kann, ist absolut genial. Selten so viel geschmunzelt und gelacht. Und niemals sagt Edna einem, dass irgendwas so nicht ginge, wie man es gerade vorhat. Kombiniert man das Falsche mit dem Falschen (oder meinetwegen auch das Richtige mit dem Falschen oder umgekehrt), gibt es auch immer noch einen blöden Kommentar. Geil! View all comments by Christian

  3. Danke für den Tipp. Ich habe noch nicht wirklich viel gelesen über das Spiel. Hört sich alles sehr gut an was du da schreibst. Witzige Adventures sind eh die cooleren.

    Auf meiner Liste steht noch: A Vampire Story (heißt doch so?). Das sieht mal verdammt gut aus. View all comments by MasteRehm

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