Wie gut darf’s denn aussehen?

Wo wird er uns eigentlich hinführen, der immer weiter um sich greifende Grafikwahn? Soviel steht fest: mit heutiger Technik wird immer realistischere Grafik am Monitor bald eher kontraproduktiv erscheinen. Tomb Raider: Underworld steht vor der Tür, die Hand bereits zum Anklopfen erhoben. Bevor es eintritt, schickt es aber doch noch schnell einen Abgesandten vor, den Gast fröhlich anzukündigen. Will sagen: die Demo ist da. Und sie sieht absolut fantastisch aus. Damit meine ich nicht nur Lara, die ein weiteres kleines Facelift hinter sich gelassen und nochmal ordentlich an Polygonen zugelegt hat, sondern die gesamte Welt, in der sie umher rennt, springt, schießt und jagt. Damit ist unsere Lieblingsarchäologin so ganz nebenbei die wohl einzige Frau weit und breit, bei der Schönheits-OPs wirklich mal das bewirken, was sie sollen. Da könnte sie Frau Orhoven mal eine ganz gewaltige Scheibe von abschneiden. Um es einmal ganz kurz zu machen: Tomb Raider: Underworld wird sich spielerisch nahtlos einreihen in die Reihe seiner beiden direkten Vorgänger, Legend und Anniversary. Mit genau den gleichen Stärken und genau den wenigen Schwächen. Vor allem die nach wie vor etwas störrische Kamera, die gerne einmal dafür sorgt, dass man beim Springen anvisierte Punkte um Haaresbreite verfehlt, dürfte Tomb Raider-Veteranen bekannt vorkommen. Wett gemacht wird das allerdings völlig mühelos von der absolut atemberaubenden Grafik, für die man gerne mal danebenspringt. So schön das alles anzusehen ist, muss man sich jedoch langsam fast schon fragen: wie schön ist eigentlich zu schön?

Denn was Underworld da als hochaufgelöstes Signal in den Bildprozessor spuckt, ist zwar nach wie vor noch eine ganze Ecke weg vom bereits seit einigen Jahren so häufig heraufbeschworenen Fotorealismus, beginnt aber aufgrund seines hohen Detailgrades so langsam für einen gewissen optischen Overflow zu sorgen, der uns spielerisch einige Fallstricke vor die Füße wirft.

Je realistischer und detaillierter die Grafik nähmlich wird, desto schwieriger scheint es konsequenter Weise nach und nach zu werden, die wichtigen von den unwichtigen Umgebungs-Elementen zu unterscheiden. Wußte man bei älteren Action-Adventures noch, dass man an einer Steinwand, an der eine klar abgegrenzte Ranken-Textur pappte, wo man als nächstes langzuklettern hatte, wird es bei einer über und über mit 3-dimensionalen Pflanzen überwuchertern und liebevoll ausgearbeiteten Steilwand schon etwas schwieriger. Welchen Weg kann man denn nun tatsächlich nehmen, welcher ist eine Sackgasse? Hier hilft nur noch eines: ausprobieren. Wenn eine Spielwelt, wie im Falle von Assassins Creed, so offen gestaltet ist, dass man wirklich überall und jederzeit auf alles draufklettern kann, ist das nicht weiter problematisch.

Wenn ein Level hingegen zwar so linear, aber relativ komplex verwinkelt wie bei Tomb Raider angelegt ist und die Erkundung zum essentiellen Spielelement wird, einem das Vorankommen also sowieso schon nicht unbedingt leicht gemacht wird, kann es schnell zu jeder Menge Frust kommen. Gerade, wenn man irgendwo an einer Wand in 10 Meter Hühe klebt und der Absturz entweder zum sofortigen Ableben führt, oder dazu, dass man einen mühsam erklommenen Pfad immer und immer wieder aufs neue erklimmen muss. In Verbindung mit einer störrischen Kamera wird es dann besonders nervig. Doch auch bei optimaler Kamerführung kann es dazu führen, dass in Rekordzeit zunächst das Joypad in die Ecke fliegt und die Spiele-Disc auf Nimmersehen ins Regal wandert.

Realistische Grafik ist also schön und gut, am Bildschirm, so wie wir ihn heute kennen, wird sie meiner Meinung nach aber in absehbarer Zukunft an ihre Grenzen stoßen. Nicht aufgrund der Leistungsgrenzen moderner Hardware, sondern vielmehr aufgrund unserer Wahrnehmung. Klar, sie verarbeitet alltäglich noch sehr viel komplexere Eindrücke, filtert, selektiert und wertet dabei unbegreiflich große visuelle Datenmengen aus. Doch ist die “Darstellung” in der Realität nunmal eine gänzlich andere.

Während wir im Alltag ein echtes dreidimensionales Bild wahrnehmen, gaukeln Videospiele uns die dritte Dimension nur vor. In Wahrheit bleibt das Dargestellte dennoch flach wie eine Flunder. Blenden wir in der Realität sämtliche unnützen Informationen aus, konzentrieren uns auf die wichtigen visuellen Reize und fkussieren wir innerhalb des dreidimensionalen Raumes immer lediglich nur auf einen kleinen Teilbereich, sehen wir in Videospiele stets das gesamte Szenario, ein ganzes Panorama, teilweise mit enormer Weitsicht,  in dem sämtliche Bildbereiche völlig gleichwertig nebeneinander gestellt werden. Hier das Wichtige vom unwichtigen zu trennen, die eintreffenden Daten zu filtern und selektieren, wird mit zunehmendem Grafikrealismus immer und immer schwieriger werden.

Grafikfetischismus und leistungsfähige Engines hin oder her, über kurz oder lang wird in der Gaming-Industrie ein Umdenken erfolgen müssen. Entweder, indem relevante Bereiche künftig optisch deutlicher herausgestellt werden, wie es etwa Entwickler DICE mit Mirror’s Edge probiert, oder durch die Entwicklung völlig neuartiger Ausgabe-Geräte. Das flache, zweidimensionale Display, so wie wir es heute kennen, hätte in diesem Fall jedenfalls ausgedient. Es sei denn, es findet sich bald mal jemand, der die eigentlich recht simpel erscheinende Head-Tracking-Technik mal vernünftig und Consumer-freundlich umgesetzt bekommt.

6 Comment

  1. Finde ich leicht übertrieben, die “Erkenntnis”. Zu Anfang dachte ich bei der Tomb Raider Demo auch “Scheiße, wie soll ich mich denn da zurecht finden”, aber nachdem ich sie jetzt zweimal durchgespielt habe, muss ich mir selbst (und dir) einfach mal sagen “Stell dich mal nicht an wie’n Mädchen!”

    Es scheint mir beim neuen Tomb Raider nämlich nicht so sehr das Problem zu sein, dass man den richtigen Weg wegen der Graphikpracht nicht mehr erkennt, vielmehr ist es wohl eher so, dass es zum Konzept gehört, dass man den richtigen Weg entdecken muss. Es ist halt Teil des Rätsels. Hätte man das nicht gewollt, hätte man die relevanten Steine ja noch deutlicher von der Umgebung absetzen können, das wäre sicherlich kein Problem gewesen.

    Aber so ergibt sich halt die Möglichkeit z.B. kleine Rätsel wie gleich am Anfang der Demo einzubauen, wo man entweder den direkten Weg zum Fortgang des Levels nimmt, oder direkt beim ersten Hochklettern sich nach rechts schwingt und den Schatz in der Minihöhle findet. Mit deutlicher hervorgehobenen “Griffsteinen” wäre das so nicht möglich gewesen. Also wohl Teil des Konzepts und nicht Teil des Problems. View all comments by m.a.

  2. Ich stelle ich ja hier nicht gegen die TR-Demo, die fand ich ja insgesamt doch sehr gelungen, sondern hab das nur als Aufhänger für die generelle Frage genommen, wann viel zuviel ist.
    Bei Tomb Raider macht es ja auch noch Sinn, wenn derlei Detailarbeit die eher lineare Levelgestaltung vertuscht, schließlich gehts ja ums Entdecken. Trotzdem zeigt sich auch hier schon sehr stören, wie zu viele Details einen manchmal den Wald vor lauter Bäumen nicht erkennen lassen. Gerade, wenn irgendwo Stangen hängen, an die man springen muss, die man aber vielleicht erst beim dritten Hinsehen erkennt.
    Solche Probleme werden sich bei realistischer Grafik, verbunden mit dem um sich greifenden Trend, sich immer mehr auf eine gewisse Farbpalette zu beschränken, stärker werden. Und dann wird die derzeitige Darstellung zwangsläufig an ihre Grenzen stoßen.
    But that’s just my 2 cent. View all comments by Christian

  3. Ich glaube das Problem ist kein generelles, sondern ein Tomb Raider spezifisches.
    Auch wenn mir Underworld die Rührungstränen in die Augen Treibt, an Tomb Raider hat sich seit Teil 1 eigentlich nichts getan: Die Welt besteht aus einem sehr begrenzten Fundus an interaktiven Objekten (Block, schräger Block, Kletterwand…), nur dass in Underworld mehr Zeug im Weg mit dem ich NICHT interagieren kann als damals im Tomb of Tihocan. Könnte ich die Lianen und die Büsche einfach umhauen und an allen Wänden die halbwegs gescheit aussehen einfach hochklettern, würde sich das Problem von selbst erledigen… View all comments by Ben

  4. Ich sehe da auch ein generelles Problem.GTA 4 zuviele Sachen wenn schnell durch die Stadt fährt.
    Weit schlimmer der online modus von CoD 4.
    Früher war es einfacher sich auf die ‘”wichtigen” Sachen zu konzentrieren. Heute wo allles so aufwendig gestaltet ist fällt es mir zumindest schwer mich über längere zeit zu konzentrieren. Wobei das auch was positives hat, dadurch dass meine augen schneller ermüden, spiele ich nicht mehr solange. 😉 View all comments by Lyesmith

  5. Das mag jetzt unglaublich plump klingen, aber ich find die Entwicklung hin zum Overflow an Details gut. Auf die Weise kann man auch zum X-ten Mal noch beim spielen was Neues entdecken und sei es ein noch so kleines, aber wertvolles Detail. Nur das zu sehen, was ich auch sehen will, habe ich bereits via RL als Skill entwickelt.

    Wie gut es aussehen darf? Nur weiter, nur weiter. View all comments by PropheT

  6. Ich denke, dass ist einzig und allein ein Designproblem. Die Leveldesigner können mit Sicherheit behutsam dafür sorgen, dass man auch bei annähernd fotorealistischer Grafik auf den richtigen Weg geführt wird. Bei Mirrors Edge passiert das relativ eindeutig mit rot eingefärbten Wegen – aber das geht wahrscheinlich auch subtiler und trotzdem ins Setting passend.

    Ich meine, was war denn die abgefranste Kletterpflanzentextur damals wenn nicht eine Markierung des korrekten Weges :). Das Navigationssystem von Dead Space bspw. (drück ich Knopf, erscheint sone Art Laser-Linie auf dem Boden, die mir den Weg zeigt) finde ich nett, subtil und nur bei Bedarf sichtbar.

    Ich glaube nicht, dass die Entwickler groß umdenken müssen. Sie müssen nur pfiffig auf den richtigen Weg hinweisen. Der Vorteil dabei sogar: Das kann man in höheren Schwierigkeitsgraden dann bspw. sogar abschalten 🙂 View all comments by laZee

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