Summer blowout

Erinnert Ihr Euch noch an früher? Früher war alles besser. Sagt man. Glaubt man. Redet man sich immer wieder gerne ein. Ach ja, die gute alte Zeit. Wo ist sie bloß geblieben? Als Schulterpolster und Seidenblousons noch der stylishste Fashion-Shit unter der Sonne waren und mein Heimcomputer langsamer rechnete als meine Waschmaschine heute. Doch eigentlich müssen wir gar nicht so weit zurückschauen, um ein Dilemma zu illustrieren, dem ich mich gerade ausgesetzt fühle. Deshalb nochmal von vorne:

Bis vor gar nicht allzu langer Zeit war es branchenweiter Usus, die vermuteten Highlights und Topseller eines Spielejahres innerhalb eines im Allgemeinen nicht allzu großen Zeitfensters  vor den alljährlichen Feierlichkeiten der (ebenfalls nur angenommenen) Niederkunft des Heilands (nein, nicht Peter Molyneux) vor die Füße der gierigen, ausgehungerten Gamer-Meute zu werfen. Denn zur Weihnachtszeit, so die Annahme, haben die Leute nicht nur mehr Zeit (weil die unterstellte Kernzielgruppe gerade Weihnachtsferien hat), sondern auch mehr Geld. Oder zumindest sind sie eher bereit, mehr von dem Geld, das sie nicht haben, auszugeben.

Deshalb also waren unter anderem Spielemagazine damals zur Vor-Weihnachtszeit gefühlt dicker als der Otto-Katalog, während im Sommer selbst der Beipackzettel eines iPods noch mehr Informationsgehalt zu bieten hatte. Darüber waren viele Spieler traurig. Noch trauriger aber waren sie darüber, dass sie sich im Winter dann nie entscheiden konnten, welches Spiel sie sich denn nun zuerst holen bzw. schenken lassen wollten. Was entweder darin mündete, dass man zum Fest des Heilands einen riesigen Haufen Spiele anhäufte, dessen Abarbeitung man sich im Folgenden widmete, oder ständig bemüht war, im folgenden halben Jahr bloß nicht den Zettel zu verlieren, der die unbedingt noch nachzuholdenden Titel fein säuberlich untereinander auflistete.

Das ist heute anders. Ein God of War im März? Ein Splinter Cell im April? Ein Alan Wake im Mai? Noch vor wenigen Jahren ein geradezu unsäglicher Frevel eines jeden Sales-Planers. Doch mittlerweile hat auch bei den Publishern ein Umdenken stattgefunden und Spiele werden nicht mehr nur ausschließlich in der kältesten Zeit des Jahres verheizt, sondern fein säuberlich über das gesamte Jahr verteilt herausgehauen. Was den Vorteil hat, dass der Kunde nun nicht nur ganzjährig mit seinem stetig weiter wachsenden pile of shame zu kämpfen hat, sondern auch noch permanent die Möglichkeit erhält, stets den ursprünglichen Vollpreis für die Titel seiner Wahl zu bezahlen. Immerhin will er ja seinen Lieblingspublisher bei Laune und bei Geld halten.

Moment, habe ich ganzjährig gesagt? Das stimmt offenbar auch nicht so ganz. Denn während Filmstudios weder Kosten noch Mühen scheuen, um ihre Zuschauer auch im höchsten Hochsommer aus der brütenden Hitze in die vollklimatisierte Dunkelkammer zu locken, schrecken Games-Publisher offenbar immer noch vor dem Gedanken zurück, ihre Kundschaft zum Ausklang eines gemütlichen Grillabends noch mit ein wenig interaktivem Entertainment zu beglücken. Zumindest drängt sich einem der Verdacht auf, wenn man sich den diesjährigen Release-Kalender so anschaut.

War das Frühjahr bislang dezent zurückhaltend und hat für einen konstanten, unaufgeregten Nachschub an hochkarätigen Spielen gesorgt, geht kurz vor Sommerbeginn nochmal so richtig die Post ab, ehe die Welt im Freibad versinkt. Oder wie erklärt man sonst den regelrechten Blowout an Top-Titel im Mai? Alan Wake? Check. Red Dead Redemtpion? Check. Split/Second? Check. Alpha Protocol? Lost Planet 2? Blur? No More Heroes 2? Check, check, check und nochmals check.

Holy cow! Man ist fast geneigt zu glauben, der Vatikan hätte irgendwas an den Feiertagen gedreht. Wer soll denn das alles spielen? Vor allem zu dieser Jahreszeit? Da begebe ich mich doch lieber mit unserem Paddelboot an den See oder setze mich mit einer eiskalten, frisch gezapften Pilsette in die Sonne (oder lasse mich alternativ in der vollklimatisierten Film-O-thek berieseln). Vielleicht war das damals doch keine so schlechte Idee – das mit dem Release-Sturm in der Weihnachtszeit. Da war es wenigstens so ungemütlich kalt draußen, dass man sich noch ohne Weiteres am wohligen Röhren der Wärmeabluft transportierenden Xbox-Turbine erfreuen konnte. Auch wenn man für eine gepflegte Konversation bei einem Gläschen Glühwein nebenher immer ein wenig die Stimme anheben musste.

Ach, es ist doch ein Teufelskreis, dass mit den Veröffentlichungsterminen…

8 Comment

  1. draußen wird überschätzt View all comments by Manu

  2. Alan Wake und RDR sind schon längst vorbestellt, aber mehr kann ich auch nicht verkraften. Ich denke mit Alan Wake bin ich schnell durch (je nach Länge des Spiels), aber bei RDR schau ich bestimmt stundenlang die schöne Landschaft an 😀

    Handhabt die Spieleindustrie das ähnlich wie die Filmindustrie, dass sie Blockbuster verschiebt, wenn die Konkurrenz ebenfalls einen in petto hat? View all comments by MasteRehm

  3. @MasteRehm: Ja, klar. Ist doch neulich bei MW2 passiert, da wurden einige Titel auf 2010 verschoben. View all comments by Manu

  4. EuroPalette says:

    Ich kaufe mir ohnehin nur noch Spiele, die auch versprechen können was sie halten. Aber die These mit dem “Weihnachtsfeuerwerk” kann ich persönlich nur widerrufen. Es gab auch sonst absolut geile Titel die Mitten im Jahr das Tageslicht erblickten. Nur, weil jetzt Weihnachten vorbei ist, kommt wie jedes Jahr genau diese Diskussion wieder auf 😉 View all comments by EuroPalette

  5. Ah. Dafür die Explosionen:-) View all comments by marco

  6. Ich mach mir darum eigentlich keinen Kopf mehr, ich arbeite stumpf meine Wunschliste ab…aktuell bin ich kauftechnisch noch nichtmal mit pre 2009 fertig. Aber der letzte Vollpreistitel war Forza 3, ansonsten schieße quasi nur noch Schnäppchen.

    Und ich bin froh darüber, denn hätte ich den vollen Preis für z.b. Modern Warfare 2 gezahlt, ich hätte mich tierisch geärdert.

    Gestern gerade erstmal Halo3, Red Faction und TombRaider Underworld für jeweils grob einen 10er bestellt. Und dabei fehlen mir noch die richtigen AAA-Titel wie ein Dragon Age Origins oder Dirt 2.

    Und ich finds irgendwie cool, dass meine Wunschliste schön verlängert wird. Guck dir doch mal die WII an, da verhungerste doch am langen Arm. Riesenhardwarebasis my ass. View all comments by Kavendish

  7. sehr schöner artikel… 🙂 View all comments by Yaab

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