Fuchteln für’s Volk

Halbtotenfledderei – ein Artikel, der zwar diese Woche exklusiv für EA Play erschienen ist, angesichts des nahenden Endes aber hier konserviert werden soll… und im Zuge meiner kleinen Nerd-Polemik neulich (die ursprünglich mal den Einstieg in die kommenden Absätze bilden sollte) gut ins Gesamtbild passt. Achtung, Satire: Komisch, bis vor kurzer Zeit waren Gamer immer noch als nerdige Pickelfressen in der Öffentlichkeit verschrien, die gerne mal in ihrer ehemaligen Schule Amok laufen, zuviel aggressive Musik hören und am liebsten schwarze Ledermäntel tragen, während sie im heimischen Keller wahlweise Brandsätze bauen oder sich mit fettiger Pizza zudröhnen. Einige dieser Exemplare finden sich hin und wieder tatsächlich mal, und wenn sie nicht aggressiv sind, sondern sich bevorzugt mit fettiger Pizza zudröhnen und dabei davon träumen, ihre schmierigen Finger auch mal an eine Frau statt an ein Joypad legen zu dürfen, dann werden sie mit etwas Glück sogar auserwählt und aus ihrem Loch der Glücksseeligkeit +3 auch gerne mal vor das Scheinwerferlicht einer Kamera gezerrt, um dort mehr oder minder quotenwirksam in einen Modezombie umgestylet zu werden. Was aber ist in den letzten zwei bis drei Jahren passiert, dass sich das Bild vom gemeinen Durchschnittsgamer plötzlich mehr und mehr zu wandeln scheint und uns in den Medien mehr und mehr glücksseelig strahlende Großfamilien entgegengrinsen, die sich gemeinsam vor dem Fernseher mit einer Partie Mario-Kart vergnügen und soviel Friedfertigkeit ausstrahlen, dass man Ihnen glatt die grundsätzlich weißen Klamotten vollkotzen möchte?

Ach ja, richtig: Nintendo hat die Fuchtelsteuerung eingeführt und das Spielen plötzlich gesellschaftsfähig gemacht. Dabei fing das Übel schon mit dem DS an. Plötzlich saßen einem im Zug Leute gegenüber, die sich nicht zu schade dafür waren, sich in aller Öffentlichkeit vor lauter wildfremden Menschen zum Affen zu machen, indem sie hektisch mit einem weißen Plastikstift auf ein kleines elektronisches Kästlein eindroschen und zwischendurch laut “Drei!”, “Neunzehn!”, “Blau!”, “ArghScheißeVerdammtWiesoErkenntDerDieZahlNicht?!?!??” zu rufen oder wahlweise ins Mikrofon zu blasen und dabei dämlich as Fuck auszusehen. Was ist bloß los mit dieser Gesellschaft? Alles geht den Bach runter. Der durchschnittliche Klischeegamer von oben hätte es nie im Leben gewagt, uns mit so einer Scheiße zu belästigen. Doch das war erst der Anfang. Dann kam auch noch die Wii – und damit war es plötzlich aus. Selbst Oma, die einen bis dato immer nur argwöhnisch beim Spielen beäugt hat und jedesmal ängstlich zusammen gezuckt ist, wenn man mal hektische Bewegungen gemacht hat oder zu schnell in die Innentasche seines schwarzen Ledermantels gegriffen hat, will es sich plötzlich nicht nehmen lassen, vor dem Fernseher einem harmlos erscheinenden Mii im Boxring mal ordentlich eine aufs Maul zu hauen. Zum Videorekorder-Programmieren 20 Jahre lang ihren Enkel anrufen, aber plötzlich mit allerfeinster Beinarbeit die Wiimote vor dem FullHD-TV schwingen. Ich glaub es hakt!

Plötzlich also will alle Welt spielen. Nintendo sei dank. Und der arme Durchschnittsspieler von dereinst sitzt nun traurig vor seiner Konsole und heult sich die Augen wund, weil einfach nichts mehr erscheinen will, was ihn interessieren würde. Selbst die ehemaligen Hardcore-Games werden immer weiter zusammengestrichen, weil Mister Superpublisher plötzlich der Meinung ist, dass alles, was man bisher produziert hat, doch viel zu schwer für das pöbelige Volk war, nene, das muss einfacher werden, immerhin wollen wir ab sofort von jedem Titel drölfzig Zillionen Exemplare verkaufen und wehe eines davon gerät in die Hände von so einem ekligen Hardcore-Gamer! Und wieso? Bloß weil man plötzlich mit seiner Fernbedienung fuchteln kann und sie, statt wie vorher einfach nichts zu tun, nun plötzlich irgendwas buntes auf dem Bildschirm auslöst und dabei Omas Herzschrittmacher einen glücklichen Hopser machen läßt?

Ist es denn wirklich so egal, was man spielen kann bzw. muss, solange man dabei bloß wie blöde im Wohnzimmer herumhüpfen und sich zum Horst machen kann, während man sich hoffnungslos auf einem Bein auf einer lustigen Plastikwaage stehend in ein weißes Kabel verwickelt und bemüht ist, sich – wenn man schon fällt – wenigstens sanft von dem bekloppten Wiimote-Kondom weich auffangen zu lassen? Ist nun automatisch alles, bei dem man doof in der Gegend rumfuchteln kann, automatisch ein Verkaufsschlager? Ich glaube fast ja. Oder warum ist selbst Rock Band nun trotz seines unfassbar dreisten und halsabschneiderischen Preises trotzdem so ein Verkaufsschlager? Endlich darf Papa mehr als nur die Luftgitarre zu seiner alten Led Zeppelin-Plattensammlung schwingen. Endlich auch mal wild auf ein paar Plastikbecken einprügeln.

Ich werde das Gefühl nicht los, dass selbst das iPhone 3G sich bloß zu solch einem Kassenschlager entwickelt hat, weil man bei den dafür erhältlichen Spielen das Gerät wild hin und her schwenken darf, um seine Spielfigur durch die Level zu scheuchen. Verkaufserfolg dank Fuchtelsteuerung.
Bin ich denn der einzige, der es auch beim Spielen weiterhin mit Winston Churchill hält? NO SPORTS! Verdammt noch eins!

8 Comment

  1. Moin Moin,

    du triffts den Nagel auf den Kopf. Klasse Text. View all comments by Actionman

  2. Langsam sollte man es wissen…wer ein Wii besitzt und Spiele spielen will, braucht ne andere Konsole.

    Ja, ich weiß. Was für eine Verallgemeinerung. Ich beziehe mich auf das Körnchen Wahrheit in jeder Legende.

    Ahoy. View all comments by ockham

  3. @ockham du hast aber vollkommen recht. Mein Wii starte ich eigentlich nur wenn Freunde im Haus sind. Oder besser gesagt wenn die Freunde mit den Madels da sind. Sonst laufen hier nur andere Konsolen. Als Normal Gamer fühle ich mich seit über einem Jahr von Big N ziemlich in den Arsch getretten. View all comments by actionman

  4. all hail the really heavy desktop pc with mouse and keyboards!! View all comments by PropheT

  5. Darauf spiele ich nur noch Stalker und der Sound meiner Lüfter klingt selbst nach einer Kernschmelze. View all comments by ockham

  6. Da hat sich wohl jemand den Frust von der Seele geschrieben. Schöner Artikel. 🙂

    @ ockham: Ausnahmen bestätigen die Regel. Ich sitze häufiger an der Wii als an meiner Xbox 360, dank z.B. “Super Smash Bros. Brawl”, “Harvest Moon” und “No More Heroes”. View all comments by Alanar

  7. Ach, Frust würde ich das nicht nennen. Ich war so schön in so einem Schreibfluss und hab mich einfach reingesteigert. Natürlich mag ich auch die neuen Steuerungen, aber manchmal wünsche ich mir nichts sehnlicher, als endlich mal wieder ein anständiges 2D Jump’n’Run mit einem Joystick oder dem guten alten Joypad spielen zu dürfen…. View all comments by Christian

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