Warum ich Serious Games nicht mag

Serious Games werden offenbar so langsam immer stärker ein Thema. Die GEE ist etwa einer der Vorreiter, wenn es um die Berichterstattung zu dieser Sparte Spiel geht. Oft darf dann auch einer der Entwickler persönlich zu Wort kommen und ein kurzes Statement dazu abgeben, wie sehr ihm doch daran gelegen war, auf Mißstände aufmerksam zu machen, den politischen Hintergrund und die Ausbeutung unschuldiger Menschen möglichst detailliert herauszuarbeiten und den Spieler zum Nachdenken, ja eventuell gar selbst aktiv werden anzuregen. Die entsprechenden Features sind in der Regel maximal eine halbe Seite lang und großzügig gelayoutet, was zum einen zwar der Sache an sich schon in geradezu unfassbarer Ironie zuwider läuft, andererseits trotzdem noch eindeutig zuviel ist. Der Grund, warum ich das sage ist: Ich mag Serious Games nicht. Nein, schlimmer noch: ich verabscheue sie. Bin ich deshalb nun ein schlechterer Mensch? Vielleicht. Aber Fakt ist doch: so edel und gutmütig die Intention hinter diesen Spielen ist, so hoch der Anspruch, sie fühlen sich schlicht und ergreifend nicht besser an als eine gehörige Portion Schmerzen im Arsch.

Oder, etwas seriöser formuliert: Serious Games laufen völlig all jenen Prinzipien zuwider, nach denen Spiele – und insbesondere Computer- und Videospiele – nunmal funktionieren. Und das Allerschlimmste: Sie widersprechen ausgerechnet dem höchsten aller Spiele-Gebote aufs Schärfste, ausgerechnet diesem! Nämlich genau dem einen, das besagt, dass Spiele in allererster Linie Spaß machen sollten, oder zumindest doch unterhalten. Wenn ich nun aber ein so genanntes “seriöses” Game spiele, dann empfinde ich alles mögliche, bloß keinen Spaß. Ich fühle mich einfach nicht unterhalten. Und wenn doch, dann nur äußerst schlecht.

Nun könnte man einwenden, dass doch genau das eben diese Sparte von Spielen ausmacht. Dass es eben keinen Spaß machen soll, sondern dass einem die Freude am Spiel, das Lachen, im wahrsten Sinne des Wortes im Halse stecken bleiben soll. Das ist schön und gut und wäre sogar der richtige Ansatz: Ein Spiel zu kreiren, das Spaß macht, das unterhält und einem im richtigen Moment mit den richtigen Schockmomenten, traurigen Wahrheiten und elendigen, zermürbenden Fakten erdrückt, sie einbindet in eine fesselnde Story, eine Geschichte um Zerstörung, Ausbeutung und Zerfall, in dem ich mich als Spieler behaupten, epische Aufgaben erfüllen muss, fesselnde Dialoge führe und ganz einfach spannende Spielabschnitte erlebe. Games eben, die mich auf spielerische Art auf ein Thema aufmerksam machen, das den Entwicklern am Herzen liegt, ohne das oberste Prinzip aus den Augen zu verlieren: Entertainment! Games, die mit der Empathie des Menschen hinterm Joypad spielen, mit seinen Gefühlen und mit seinen Ängsten. Ohne ihn auf übelste Art und Weise zu langweilen.

Denn genau das tun Serious Games leider in allerhöchstem Maße. Statt dafür zu sorgen, dass der Konsument Spaß hat und eben nicht bloßer Konsument, also Rezipient, sondern handelnder, interagierender, sich einbringender Aktant ist – diese Chance setzen die Macher seriöser Spiele mit aller Regelmäßigkeit so dermaßen gründlich in den Sand, dass man angesichts der daraus entstehenden Produkte nur noch enerviert mit dem Kopf schütteln mag. Nein verdammt, mir bleibt das Lachen angesichts solcher Machwerke nicht im Halse stecken. Nein verdammt, ich empfinde kein Mitleid, kein aufwallendes Pflichtgefühl, mich nun selbst stärker aktivistisch einzubringen, wenn ich so etwas spielen muss. Und das nur aus einem einzigen Grund: weil zuvor nicht einmal ein Hauch, nicht ein winziger Anflug eines Lachens, geschweige denn eines Lächelns, bei mir entsteht. Was entsteht, ist allerhöchstens eine anschwellende Halsschlagader und das unschöne Gefühl, gerade wertvolle Zeit mit einem unsäglich miesen Stück Medienproduktion zu verschwenden.

Wenn ich etwas über das Leiden der Menschen in Darfur erfahren möchte, dann schaue ich den Länderspiegel, informiere mich auf Bürgerrechtsseiten, bei den Portalen internationaler Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International oder meinetwegen auch durch den Spiegel. Aber eben nicht dadurch, dass ich mich durch so ein Nicht-Spiel wie Darfur is dying quäle, dass sich von allem verabschiedet und entfernt hat, was ein Spiel doch eigentlich ausmacht und stattdessen versucht, mir harte Fakten mittels einer bunten, interaktiven Oberfläche unterzujubeln, ohne einerseits das Medium, das es dazu nutzt, auch nur annähernd auszureizen oder zumindest anzudeuten, dass man die Mechanismen dieses Mediums verstanden hat, oder, was noch schlimmer ist, mir die Hard Facts tiefergehend, tiefgründiger und umfassender vermitteln zu können, als es durch ein simples “Sieh nur, das ist wirklich eine schlimme Situation hier; dagegen muss man doch mal etwas machen!” sagen kann.

Machen wir uns also nichts vor – und macht Ihr Euch vor allem nichts vor, liebe Serious Games-Designer: Das Medium Computerspiel ist, so wie Ihr es derzeit nutzt, nicht geeignet für eine Message, wie Ihr sie transportieren wollt. Oder, schärfer und wahrscheinlich treffender formuliert: Ihr seid nicht bereit für das Medium Spiel, weil Ihr zwar Eure Materie, die Materie des zu vermittelnden Stoffes, in ihrer Gänze durchdrungen und verinnerlicht habt, nicht aber die Funktionsweisen des Mediums Games. Ihr habt einfach keine Ahnung, womit Ihr da arbeitet, will es mir scheinen. Ein Spiel transportiert einfach nicht diese Fülle an Informationen, ohne dabei seiner grundsätzlichen Eigenschaften beraubt zu werden. Ein Spiel, dass Fakten Fakten Fakten präsentiert, ohne an den Spieler zu denken, ist kein Spiel mehr. Es ist ein interaktiver Informationsfilm. Bloß ohne die Wirkungstiefe eines interaktiven Informationsfilmes. Denn so etwas gibt es ja auch noch: Lehrfilmchen, bei denen der Spielende an zentralen Stellen Entscheidungen treffen, Fragen beantworten oder kleine Aufgaben lösen muss. Filmchen also, die gezielt eine umfangreiche Portion Wissen vermitteln wollen und auf spielerische Weise versuchen, dieses Wissen zu vertiefen und zu verfestigen.

Im Grunde, liebe Serious Games-Designer, macht Ihr nichts anderes – nur schlechter und mit weniger Informationen. Das Medium Videogames mag herkömmlichen, rezeptiven Medien in vielen Bereichen voraus sein – in der Informationsvermittlung ist es das nur bedingt. Im Grunde macht Ihr aber auch nur den gleichen Fehler, den viele Medienwissenschaftler machen – und vor allem all jene Medienwirkungsforscher, die versuchen, Computerspielen eine bestimmte Wirkungsweise nachzuweisen: Ihr verfallt der trügerischen Annahme, dass herkömmliche Medien(wirkungs-)theorien sich ohne weiteres 1:1 und verlustfrei auf Computerspiele übertragen lassen. Während die Wirkungsforschung – zumindest die seriöse – aber bereits einen Schritt weiter ist und festgestellt hat, dass Katharsis-Theorie, Stimulationstheorie, Stimulous-Response-Modell etc. allzu monokausal, linear und unmittelbar sind, sich also Theorien, die auf einen rein rezeptiven Konsumenten ausgelegt sind, nicht auf ein interaktives Medium übertragen lassen, geht Ihr, liebe Serious Games-Designer, nach wie vor davon aus, dass sich die Mittel der herkömmlichen Medien ohne weiteres verlust- und streufrei auf Computerspiele übertragen lassen. Dabei begreift Ihr nicht, dass herkömmliche Mediengenres abseits der reinen Unterhaltung, also Dokumentationen und Reportagen etwa, in einer interaktiven Umgebung ihrer Aussagekraft beraubt werden (können). Genres und Berichterstattungsformen lassen sich nunmal nicht eins zu eins miteinander abgleichen. Vermag eine gute Reportage in der Zeitung oder im TV uns zu fesseln und aufzurütteln, verliert sie in einer interaktiven Umgebung schnell an Wirkkraft. Schlicht und ergreifend, weil sich der Stoff nicht in seine neue Umgebung einfügen will. Oder andersherum: Weil die Kernelemente des Spiels nicht mit der Schwere einer Reportage harmonieren wollen. Punkt.

Deshalb würde ich mir wünschen, dass der Großteil aller Serious Games-Designer sich lieber anderweitig politisch betätigt, sei es in Lobbyarbeit oder im Rahmen eines karikativen Vereines, der ganz konrete Projekte angeht, mich dafür aber mit ihren spielerischen Machwerken verschont. Und diejenigen, die das Medium Spiel als solches doch verstanden haben, sollten sich einfach mal nach Mitteln und Wegen umschauen, ihre Botschaften subtiler unterzubringen. Nicht mit der Holzhammermethode, sondern auf Basis spielerischer Grundprinzipien. Denn dass Spiele durchaus auf Elendssituationen aufmerksam machen können, ist mir erst gestern beim erneuten Durchspielen von Call of Duty 4 bewußt geworden. Bei der Autofahrt durch ein heruntergekommenes, durch ein gnadenloses Terror-Regime abgewirtschaftetes Land, in dem politische Willkür herrscht und standrechtliche Exekutionen auf offener Straße an der Tagesordnung sind, Hunger und Elend nur eine Autotür entfernt sind und die Stadt einer einzigen großen, heruntergekommenen Lehmbarracke gleicht, bleibt mir durchaus das Lachen im Halse stecken. Bloß ist Call of Duty 4 kein Spiel, dass eine andere explizite Botschaft vermitteln will als diejenige, wie toll heroische Krieger in US-Uniform doch sind. Oder zumindest versteht die ganze Welt die Macher von Infinity Ward nicht anders. Falls das Spiel doch auch auf ernsthafterer Ebene funktionieren und tatsächlich auf Mißstände aufmerksam machen will, dann schafft es das leider auch nicht wirklich. Es ist doch ein Trauerspiel, ein echter Teufelskreis.

Was käme bloß ergreifendes dabei heraus, wenn sich talentierte Spielemacher und talentierte Serious Game’ler einmal zusammen täten und es von vornherein richtig angingen?

1 Comment

  1. Goddamnit, YES!
    Danke dir. Genau SO isses, so und nicht anders! View all comments by SirDregan

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