Spiel und Wirklichkeit

Spiele versuchen seit jeher immer wieder, einen möglichst großen Teil der Realität innerhalb ihres virtuellen Rahmens abzubilden. Wenn auch nur mit den Regeln und Möglichkeiten, die eben solch eine Virtualität vorgibt bzw. einräumt. Das geschieht mal recht gut, oftmals allerdings eher schlecht. Und manchmal präsentieren sie uns eine ganz eigene Vorstellung von Realität, die jeder Vorstellung von “echter” Moral und ethischem Empfinden der “wirklichen” Welt zu spotten scheint. Eine Vorstellung, die offenbar ganz bewusst auf den schieren Akt der Provokation ausgelegt zu sein scheint, die nichts weiter will als zu verstören – um diese Verstörung als anarchischen Witz der Entwickler möglichst gewinnträchtig unters tumbe Volk zu bringen.

Nun funktioniert Provokation als Form der Unterhaltung nicht nur traditionell gut, denn was die breite Masse auf die Barrikaden bringt, macht sich selbst für die avisierte Zielgruppe nur noch interessanter, sondern eignet sich zudem auch noch als erstklassiges, weil kostengünstiges PR-Instrument. Ist der Eklat erst einmal forciert, kann man sich die sündhaft teuere Multimedia-Kampagne (beinahe) sparen. Schließlich spricht bereits alle Welt über das eigene Produkt.

Wie so etwas hervorrageng funktioniert, hat zuletzt ActivisionBlizzard gleich mehrmals mit seiner Call-of-Duty-Reihe bewiesen. War es zuletzt das vielbeklagte Flughafen-Massaker in Modern Warfare 2, bewiesen die Entwickler bereits zwei Jahre zuvor mit dem ersten Modern Warfare, wie man sein Publikum mit der zynisch-menschenverachtenden Darstellung eines Luftbombardements im typischen S/W-Griesellook allseits bekannter Kriegsberichterstattungs-Filmchen aus dem TV verunsichert. Was als vordergründig realistische Abbildung des tatsächlichen Kriegsgeschens präsentiert wurde, im Kern aber nur ein schlechter, geschmackloser Witz mit PR-technischem Kalkül war, entpuppte sich am Ende als spielerisch eher schwachbrünstige Passage, die vom dumpfen Mainstream-Egoshooter-Konsumenten aber mit umso mehr Jubel begrüßt wurde (“Boah, geil ey, hab’ isch voll die Penner ausser Luft weggebombt, Alter!“… oder so).

Was aber, wenn die Realität plötzlich die überzogene Karikatur einer durchgegangenen Entwicklerphantasie einholt und das spielerisch Erlebte nachträglich zu einer exakten Nachbildung tatsächlicher Realitäten macht?

Dann, ja dann, kann es einem eigentlich nur noch den Magen umdrehen. So geschehen bei wohl nicht wenigen, die sich nach Betrachtung eines kürzlich veröffentlichten Videos der US-Armee durch Wikileaks nochmal lebhaft an die eigene Spielerfahrung in Modern Warfare zurückerinnerten. Wie erschreckend ist das denn, bitteschöne? Was sich – zumindest dem reflektierten, denkenden Spieler – gerade eben noch als übersteigerte Gewaltphantasie mit Bubblegum-Charme präsentierte, wird von der einen auf die andere Sekunde zu bitterbösem Ernst.

Dabei ist es weniger die, von den MW-Entwicklern absolut gewollte, optische Parallelität von Videoaufnahmen und Spiel, sondern vielmehr das zynische Hörspiel, dass sich dem Betrachter auf der gebleitenden Tonspur bietet. Erschienen die anfeuernden Kommentare beim Beschuss feindlicher Truppen aus der Luft in Modern Warfare 1 noch (beinahe) als überzeichnet-ironischer Kommentar, zeigt sich plötzlich, dass es für manchen US-Marine wohl auch nicht mehr als ein geiles Spiel mit noch geilerer Grafik ist, mit einem Apache durch die Wüste zu dübeln und wehrlose Zivilisten abzuschlachten.

Man könnte jedenfalls vermutlich ohne Weiteres die Tonspur von Spiel und gefilmter Wirklichkeit austauschen, ohne dass es jemandem auffiele. Anfeuernder Jubel im Wikileaks-Video und die mehrfache Nachfrage, ob man die Leute im Van nun ebenfalls beschießen darf im Spiel – den akustischen Unterschied würde man wohl kaum auf Anhieb ausmachen können.

Ich glaube mir wird schlecht…

10 Comment

  1. Danke. Ebenso gings mir gestern, nachdem ich das Video gesehen hab. View all comments by thomas

  2. Was soll ich sagen? Ich kann dir nur voll und ganz zustimmen. Das Video hat es geschafft, dass ich in Zukunft, wenn ich es überhaupt spielen will, bei Modern Warfare ein schlechtes Gefühl in der Magengrube haben werde.

    Und das schlimmste ist: Ich bin mir nicht sicher, ob das in diesem Ausmaß beabsichtigt war. Ich halte es für wahrscheinlich, dass die Jungs von Infinity Ward (oder eben nicht mehr) diese Woche auch das Video gesehen haben und sich dachten: “Oh, naja, fuck. Die Welt ist ja wirklich so scheiße wie wir sie gemacht haben.” View all comments by Pascal

  3. EuroPalette says:

    Als würde sowas das erste Mal passiert sein – die Amis sind ungeschlagener Meister im Zivilisten abschlachten, seit sie auf der Weltkarte auftauchen !

    Spiele sind aber trotzdem reine Fiktion und man muss nun nicht jedes Actionspiel von der Festplatte löschen um ein besserer Mensch zu werden. Ich spiele immer noch gerne Postal 2 😉 *hrhr View all comments by EuroPalette

  4. mich hat es aufgestoßen, weil es mich fast 1:1 an spielszenen aus battlefield: bad company 2 erinnerte einen tag bevor ich das mördervideo sah. im mp-modus kann man auf einer karte den schützen in einem apache in irakähnlicher umgebung spielen und dort ähnlich dem mordvideo seine mitspieler (allerdings) virtuell um die ecke bringen. noch nie war
    mir die künstliche nähe in videospielen näher, zu nah. ich werde dennoch weiter solche spiele spielen. denn ich kann zwischen wirklichkeit und virtualität unterscheiden. diese unterscheidung scheint den piloten im video abhanden gekommen. oder sie sind tatsächlich einfach nur gewissenlose killer. View all comments by mathiaz

  5. […] in allen Facetten ausgiebig zelebriert wird. Als PR-trächtige Maßnahme, wie der zweite, sehr lesenswerte Beitrag auf “Endoflevelboss” völlig korrekt feststellt. War es zunächst die Flughafen-Mission in “Modern Warfare […] View all comments by vom Tod der Moral « random:notes

  6. Leute, das “da unten” ist Krieg. So sieht es aus wenn in der Zeitung/Newsseite steht “12 Zivilisten bei Luftangriff ums Leben gekommen”. Und ähnlich wird es aussehen, wenn da steht “12 Zivilisten bei Bombenanschlag ums Leben gekommen”. Aber irgendwie wird immer so getan, als wenn letztes “die Guten” sind.

    Was meint ihr wie Krieg aussieht? Ernsthaft, macht euch mal Gedanken darüber.

    Wieder das Amibashing und/oder Bashen auf die Bundeswehr (wahlweise auch verteidigen) ohne einen Schimmer wie es in solchen Ländern abgeht. In einem Krieg wo der Gegner keine Uniformen trägt (oder falsche) und jeden Moment ne selbstgebastelte Bombe an der Straße oder nem Esel/Hund hochgehen kann. Ich habe zwei Freunde, die im Kunduz waren.

    Ja, die Kommentare der Piloten sind geschmacklos. Die gibts aber in jedem Krieg (lest einfach mal ein Buch zur Psyche von Kriegsveteranen). Ja, der Einsatz ist offenkundig übertrieben (spätestens ab dem Beschuss des Vans). Nein, die Soldaten haben nicht einfach fröhlich rumgeballert, sie haben auf die Feuerfreigabe gewartet. Nein, ihr habt keine Ahnung über die Begleitumstände unter denen dieses Video entstanden ist.

    Bitte vergesst nicht, dass ihr ein bearbeitetes Video ohne Kontextinformationen (warum ist der Hubschrauber da unterwegs gewesen, was ist davor/danach/daneben passiert, was ist woanders passiert, was haben die Piloten über die anderen Displays/mit bloßen Augen gesehen) anschaut. Das Video ist extrem heruntergerechnet und gibt lediglich die “Guncam” wieder. Die gezielte Bearbeitung zielt ganz augenscheinlich auf eben dieses “wie entsetzlich, aber ich schau’s mir trotzdem an”-Snuffeffekt ab.

    Unbewaffnete Zivilisten? Schaut es euch noch mal an: ab ca. 3:40 (Kurzversion) – die “oberen” Männer… also wenn der links keine AK trägt weiß ich auch nicht. Und der zweite hat was in der Hand was man (bei der schlechten Qualität) als RPG-7 deuten kann. Wo sind da die Pfeile und Textkommentare?

    Wenn ihr euch das Video im Kontext anschaut, etwas Abstand nehmt und dann zu dem gleichen Schluss kommt, ok. Wie gesagt ich will das ganze nicht wirklich verteidigen, ich möchte nur mal darauf hinweisen, dass man sich als Couchkartoffel nicht unbedingt zwischen Youtube, Abendbrot und Videospiel nicht unbedingt ein Urteil erlauben kann.

    Kurz noch was zu MW (dem ersten Teil, Teil 2 habe ich noch nicht gespielt, da mir 40-60eur für die kurze Spieldauer viel zu viel sind und mich der Multiplayer bei Shootern nie sonderlich interessiert): ich persönlich empfand den “Luftlevel” ziemlich “krass”. Nicht im Sinne von “Boah ey, wie geil”, sondern im Sinne von “Holy Shit… *schweigen*”. Ebenso wie den “Level” nach der Atomexplosion.

    Das Ding ist nur… solche Kommentare/Videos sind nichts neues. Es gibt ein (ich kenne eines, gibts sicherlich dutzende) AC-130-Video von 200x was bereits zeigte, wie “Videospiel-mäßig” das ganze für den Außenstehenden(!) wirken kann(!). Von daher haben die CoD-Macher da ja nix neues erfunden. Man sollte nur halt aufpassen den Soldaten jedes Verantwortungsbewusstsein abzusprechen. View all comments by cmi

  7. EuroPalette says:

    Ohne jetzt weiter mit dir diskutieren zu wollen, eines möchte ich loswerden :

    Wenn du doch so überzeugt von den völkerrechtswidrigen Handlungen der USA und der Bundeswehr in fernen Ländern bist, dann sage mir jetzt auch noch, dass dieses Verhalten keine Konsequenz nach sich zieht !

    Wer im Gewand des Big Boss einen souveränen Staat angreift, sich so wie der Herrscher, auch vor dem Sieg, aufführt, der hat nichts anderes als eine Kugel verdient.
    Es ist nicht akzeptabel mit Kanonen auf Spatzen zu schiessen. Die USA hat sehr wohl Eingreiftrupps, die die Lage vom Boden her berurteilen können. Aber leider herrscht dort die “Verdacht = Abknallen”-Praxis ! Aber ein Verdacht bestätigt keine Tatsache !
    Man muss sich nicht wundern wenn das Volk dieses Landes sich gegen solche Kriegstreiber auflehnt. Und das geht leider nur in der gleichen Sprache, die die Amerikaner sprechen : Gewalt !

    Also führ dich hier nicht so als GI Joe auf und verteidige Zivilopfer als Kollateralschäden !

    Dresden, Hiroshima, Vietnam und Korea haben gezeigt wer hier der ist, der die Schuld an Aggressionen trägt !

    PS:
    Ich bin kein Couch Potatoe – habe selber 2 Jahre beim Vasallenheer gedient…. View all comments by EuroPalette

  8. Um ehrlich zu sein, “Death from Above” ist meiner Meinung nach eins der gruseligsten Levels der Videospielgeschichte, und das schon lange vor dem Apachevideo.
    Die Hintergrundkommentare sind – so wie ich das auffasse – keineswegs überzogen oder zynisch gemeint, sondern treffen den Ton eben tatsächlich sehr gut.
    Und eben deswegen ist dieser Level so gruselig, da schließt sich der Kreis.
    Zwischen Bordschützen und Krieg ist eine beunruhigend ähnliche Distanz wie sie im Spiel herrscht.
    Womit ich jetzt nicht auf den “Moderner Krieg ist wie Videospiele” Zug aufspringen möchte, letztlich weil der Weg dann zum “Videospiele verletzen die Menschenwürde” und ähnlichem zu kurz wird. View all comments by Tellurian

  9. EuroPalette: Sorry, Kommentarabo-bestätigung hing im Spamfilter fest.

    Daher und auch wenn’s schon verdammt spät ist: Ich verteidige das nicht, mich kotzt es nur an, wie da nun jeder gleich wieder “die doofen Amis” geschrien hat.

    Das Video ist eins: sensations- und betroffenheitsheischend. Ich mag WikiLeaks sehr gern und ich finde die Arbeit von denen sehr wichtig, da die klassischen Medien quasi nicht mehr kritisch berichten und (imho) mehr und mehr überflüssig werden. Ich finde aber die Bearbeitung des Videos und das bewusste “in einen Kontext zwingen” sehr einseitig.

    Jeder ist nun Experte und überzeugt davon, dass das von Anfang bis Ende falsch war. Ohne einen Kontext zu den Geschehnissen zu haben.

    Noch mal: ich bin keinesfalls der Meinung, dass was man da sieht begrüßenswert ist. Ich verteidige auch keine “Kollateralschäden”. Ich verabscheue nur manipulative Berichterstattung und nichts anderes macht hier WikiLeaks.

    Ich habe bereits in dem anderen Kommentar geschrieben, dass der Einsatz allerspätestens ab dem Beschuss des Vans sehr unverhältnismäßig wirkte. Aber wie gesagt: warum geht WikiLeaks nicht auf die Begleitpersonen ein, sondern hebt nur Dinge hervor, die man a) WikiLeaks glauben muss und b) in den gewünschten Kontext passen?

    Interessant wäre doch z.B.: Warum hat der Hubschrauber die Personen überhaupt verfolgt bzw. wie wie wurde er auf sie aufmerksam? Was passierte “drumherum”? Was haben die Piloten tatsächlich selbst gesehen? usw.

    Hier wären die Medien gefragt, nachzuhaken, zu recherchieren. Was aber ist passiert? Jede Zeitung, jede Internetseite unserer sogenannten “Qualitätsjournalisten” brachte das Video (“boah schau mal wie krass”), echauffierte sich ein wenig und dann? Nix… Nächstes Thema.

    Es gibt einen interessanten Blogeintrag eines amerikanischen Soldaten (afaik Ex-Zugführer) der den Einsatz unverhältnismäßig nennt, aber auch auf diverse Dinge wie die (scheinbar) getragenen Waffen, die lausige Videoqualität aufmerksam machte und die Einsatzrichtlinien näher erläuterte. Und ehrlich: ich traue so jemanden fast schon mehr, als dem xten unreflektierten “blöde Amis, die denken wohl die spielen Videospiele”-Basher.

    Wie gesagt: mir geht es darum, mal das Hirn einzuschalten. Und nicht Video angucken, betroffen sein, bissi im Internet rumtrollen und dann nächstes Thema. Nicht darum, hier einen Einsatz pauschal zu verteidigen, den ich selbst auf Basis des Videos für unverhältnismäßig halten würde. View all comments by cmi

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