OK, ich hab’s verstanden. Von Spore will man nichts mehr lesen. Recht so, will ich auch nicht. Kommen wir also wieder zu einem angenehmeren Thema. Einem Thema, bei dem es mir regelrecht leid tut, dass überhaupt der Name Spore im gleichen Artikel fällt. Denn wie sehr stinkt dieser Müllhaufen doch zum Himmel und wie blumig duftet doch dagegen die zarte Schönheit der Musik eines Chris Hülsbeck. Wagen wir deshalb statt eines Blicks in das eklig bunte Universum dämlich quiekender Gestalten einen kleinen Lauschangriff auf den im 4. Quartal dieses Jahres erscheinenden Mitschnitt des Symphonic Shades-Konzertes vor wenigen Wochen. Soviel steht fest: das Album wird ein absolutes Muss nicht nur für Fans des Maestros, sondern für alle, die auch nur ein halbwegs ausgeprägtes Gespür für gute Musik und eine Vorliebe für große Melodien haben. Die Symphonic Shades heben Computerspiele-Musik auf einen gänzlich neuen Level, bringen sie heraus aus der vermeintlich nerdigen Ecke fiepsiger 8-Bit-Sounds und erheben sie zu einem kulturellen Groß-Ereignis, das zurecht seinen würdigen Platz zwischen all den anderen Sonntags-Konzerten des WDR eingenommen hat und dort nun gleichberechtigt zwischen den Werken der ganz großen Komponisten der Geschichte thront. Doch bevor nun jedermann das Album immer und immer wieder in seinen CD-Player schieben kann (und glaubt mir: Ihr werdet nicht genug davon bekommen), um immer mehr und mehr kleine aber feine Details zu entdecken, wollen wir an dieser Stelle bereits einen ersten tieferen Blick auf die einzelnen Kompositionen werfen.
Klang die Aufführung der Hülsbeck’schen Kompositionen im Funkhaus des WDR insgesamt ein wenig matschig und undifferenziert, sah es bei der Radio-Übertragung offenbar bereits gänzlich anders aus. Da saß deutlich hörbar jemand an den Reglern, der Ahnung von der Materie hat und der genau wußte, wann er welche Instrumente und welche Songparts in den Vordergrund zu mischen hatte. So ergibt sich ein wunderbar ausgewogenes Klangbild, bei dem sämtliche tragenden Melodien den nötigen Freiraum bekommen, klar und deutlich herauszuhören sind und es trotzdem noch so viel mehr Details und Feinheiten zu entdecken gibt. So muß ein Konzert klingen! Kommen wir nun aber endlich zu den einzelnen Stücken…
1. Grand Monster Slam – Opening Fanfare. Komisch, GMS war mir bis zur Verkündung des endgültigen Programms überhaupt nicht als Hülsbeck-Nummer im Gedächtnis. Dabei war das Spiel selbst doch eigentlich alles andere als unbekannt, damals. Ich bin mir aber auch nicht sicher, ob ich es jemals selbst gespielt habe, oder nur durch Zuschauen kenne. Aber es ist schön, nach so langer Zeit noch alte Schätze für sich zu entdecken. Das Grand Monster Slam Titelthema ist definitiv ein solcher Schatz. Dabei braucht es einige Höranläufe, bis es wirklich wirkt, dann aber wissen vor allem die Streicherpassagen zu gefallen und bleiben als Ohrwurm dauerhaft im Gehörgang hängen. Ein mehr als würdiger Opener.
2. X-Out – Main Theme. Der erste Auftritt des FILMharmonischen Chors Prag. Ein zunächst ruhiges fast elegisches Stück Musik, das vor allem von den wunderbaren Gesängen getragen wird und sich, langsam beginnend, innerhalb von gut 5 Minuten zu einem immer bombastischeren Soundgeflecht aufbäumt. Die erste große Gänsehaut gab es schon beim allerersten Hördurchlauf im Konzertsaal. Fantastisch.
3. Jim Power – Main Theme. Was habe ich dieses Spiel geliebt. Jim Power war eine knallbunte Wundertüte voller Jump’n’Run-Sidescroll-Shooter-Rafinesse, die mit einem, für den Amiga, ungeheueren grafischen Aufwand zu beeindrucken wußte und sich fröhlich bei den besten Vertretern seines Genres, allen voran Turrican, bediente. Kein Wunder, dass sich das französische Produktionsteam auch noch flugs den Herrn Hülsbeck geschnappt hat, um sich ein paar feine Melodeien maßschneidern zu lassen. Der Soundtrack, und allem voran das Titelthema, wurde von mir seinerzeit für so großartig befunden, dass ich den Amiga an meine alte Stereoanlage gefrickelt und teilweise nur für diesen einen Song angeschmissen habe. Das hat ganz mächtig gerockt. In der Orchester-Version hingegen kommt mir das Main Theme viel zu langsam und schwermütig daher. Zu sehr werden hier Noten in die Länge gezogen, wodurch dem Stück sein ursprünglicher Charakter vollkommen entzogen wird. Schade. Für mich sicherlich der schwächste Moment des Abends.
4.Tower of Babel. Eigentlich keine Videospiel-Komposition, sondern eher eine lockere Anlehnung an das Genre. Wer sich aber ein wenig auskennt, wird sehr schnell die Versatzstücke des Turrican-Soundtracks entdecken, die bereits im Original (von Hülsbecks erstem Album Shades) prominent platziert sind und der Geschichte von Aufbau und Fall des Turms zu Babel die richtige Würze geben. Bei der Umsetzung hätte ich ein wenig mehr Orientierung am Ausgangsmaterial gewünscht, das zwar nur mit herkömmlichen Synthesizern eingespielt wurde, aber dennoch bereits sehr orchestral daherkam. Nichts desto trotz gehört Tower of Babel zu den absoluten Highlights unter einer Fülle aus Highlights.
5. Turrican – Piano Suite. Auftritt Jari Salmela für eine Solonummer am Piano. Mein erster Eindruck vor Ort, dass Salmela eher holprig durch die Noten stolpert und so manches mal neben tastentechnisch daneben greift, wollte sich auch nach mehrmaligem Hören nicht so ganz legen. Man wird das Gefühl nicht los, dass da unbedingt jemand seine Fingerfertigkeit präsentieren wollte, dabei allerdings vergisst, ausreichend Gefühl in das Gespielte zu legen. Mal schauen, welche Version es letztlich auf die CD schaffen wird. Dem Vernehmen nach hat man ja immerhin schon sämtliche Proben mit aufgenommen. An der Schönheit der Turrican-Melodien kann aber auch Salmela nicht rütteln.
6. Gem’X – Main Theme. Was denn, schon wieder Weihnachten? Man möchte das originale Gem’X-Tune zunächst so gar nicht mit den Klängen in Verbindung bringen, die einem da entgegenhallen, obwohl es sich doch ganz eindeutig um die unverkennbaren Eröffnungsklänge handelt. Die weihnachtlichen Glöckchen irritieren halt etwas. Auf das rhythmisch wummernde Schlagzeug, dass auch auf Rainbows noch zum Einsatz kommt, fehlt zudem ebenfalls komplett. Trotzdem entfaltet Gem’X innerhalb kürzester Zeit einen unwiderstehlichen Charme, dem man einfach nicht widerstehen kann. Und wenn es dazu auch noch eine musikalische Bereicherung für die Weihnachtszeit ist, umso besser… 😉
7. Apidya II – Suite. Wieder einmal spielt der Chor eine ganz entscheidende Rolle und übernimmt tragende Teile des höchst mitreißenden Apidya-Titelthemas sowie einiger Versatzstücke aus den einzelnen Level-Themen. Letztere werden jedoch sehr dezent zurückgehalten und man muss schon ziemlich genau hinhören, um überhaupt etwas wiederzuerkennen. Ein wenig mehr War at Meadows Edge etwa hätte hier ganz gut getan, stattdessen beschränkt man sich weitestgehend auf das Titelthema und ein wenig Credits-Sounds. Arrangeur war hier ausnahmsweise nicht Jonne Valtonen, sondern der Japaner Takenobu Mitsuyoshi. Wenngleich dieser hier keinen repräsentativen Querschnitt durch den Apidya-Opus darbietet, schafft er es dennoch ausgezeichnet, die Grundstimmung des Soundtracks herauszuarbeiten und ein Arrangement aufzufahren, dass mit jedem Hördurchgang ein klein wenig mehr wächst. An dieser Stelle muss man sich dann aber auch mal fragen: Ist das, was uns da während des gesamten Symphonic Shades-Konzertes geboten wurde, überhaupt noch Chris Hülsbeck? Oder ist es letztlich nur eine Interpretation seiner Werke mit der klaren Handschrift des jeweiligen Arrangeurs? Denn einige Stücke weichen dann doch sehr von dem ab, was man sich aufgrund der alten Hülsbeck-CDs im Vorfeld vielleicht vorgestellt hat. Das ist aber keineswegs negativ gemeint, sondern erhöht im Gegenteil nochmal die Spannung, gibt es so doch einfach sehr viel mehr neues zu entdecken.
8. R-Type – Main Theme. A long time ago, in a galaxy far… ach nee, falscher Film. Der Weltraum, unendliche… auch nicht. Ach egal: Eine Hymne! Aber sowas von! Herrlich, diese Bläser-Abschnitte. Da will man doch glatt sofort in seinen Raumgleiter steigen und mal wieder ordentlich Alien-Ärsche treten.
9. Licht am Ende des Tunnels. Zur Abwechslung ein wenig Filmmusik. Laut Moderator Matthias Opdenhövel ist der Song so traurig und tränenfördernd, dass man die Proben nur mit Gummistiefeln habe bestreiten können. Nunja, ganz so schlimm ist es dann doch nicht. Rührend ist er aber alle mal. Und ein klein wenig gewöhnungsbedürftig, denn man merkt schon, dass er für ein anderes Medium geschrieben wurde und von vornherein eher auf ein Orchester ausgelegt gewesen zu sein scheint. Bei mir ist Licht am Ende des Tunnels noch nicht zu seiner vollen Blüte gereift, da braucht es wohl noch einige Durchgänge.
10. The Great Giana Sisters – Suite. One for the horns! Vor meinem inneren Auge sehe ich Fred Astair die Showtreppe hinunterhüpfen und einen flotten Steptanz aufs Parkett legen. Ich sehe Dorothy, wie sie die Yellow Brick Road entlang läuft und auf den Tinman trifft. Ich sehe ein großes Showorchestern der späten 30er oder frühen 40er Jahre, das sich mit tiefster Inbrunst an einer Revue-Nummer verausgabt. The Great Giana Sisters ist die reinste Wonne und liefert selbst nach 20 Durchläufen noch dickste Gänsehaut vom Allergemeinsten. Meisterwerk!
11. Tunnel B1 – Suite. Wieder was für wirbelnde Finger. Diesmal aber nicht die des Pianisten Salmela, sondern des Darbuka-Spielers Rony Barrak. Die ersten zweieinhalb Minuten sind mehr eine fantastisch anzuhörende (aber noch fantastischer anzusehende) Aufwärmübung für seine Finger und damit eine Selbstdarstellung Barraks, die nichts mit dem eigentlichen Stück zu tun hat, dennoch ausnahmslos zu gefallen weiß. Tunnel B1 selbst wirkt solide im Mittelfeld vor sich hin, löst aber trotz Barrak keine wirklichen Begeisterungsstürme in mir aus.
12. Symphonic Shades. Die Neuauflage des Songs, mit dem alles begann. Statt fiepsiger 8-Bit-Flatulenzen gibt es mächtig was auf die Ohren – rockender Streicher und Schlagzeugeinsatz sei Dank. Das einzige Stück, bei dem ein Synthie zur Untermalung und zur Herausarbeitung des Original-Sounds genutzt wird. Stört nicht weiter, hätte aber auch ohne ganz gut geklappt. Neben Giana Sisters mein persönlicher Höhepunkt des Abends.
13. Die Karawane der Elefanten. Man drehe sich ordentlich einen durch, schaue sich Lawrence von Arabien, Das Königreich der Himmel und alle Teile der Mumie an und schon weiß man, woher die Inspiration für Die Karawane der Elefanten herkam. Vermutlich. Vielleicht auch nicht. Toller orientalisch angehauchter Sound.
14. Turrican II Main Theme Renderings). Jari Salmela stolpert nochmal durch einen Teil des Turrican Opus’. Diesmal durch das Turrican II Hauptthema, allerdings in 3 grundverschiedenen Variationen, von der Spielart an unterschiedliche klassische musikalische Epochen angelehnt. Sehr schön. Ein zünftiges Turrican-Best-of hätte es aber auch getan.
Habe mir erst mal hier die CD vorbestellt. Hoffentlich heißt “viertes Quartal” nicht Ende Dezember… View all comments by blumentopferde
Danke. Für die Konzertzusammenfassung und auch danke an Blumentopferde für den Link. Hab mir erst mal die CD vorbestellt und doch ein paar andere Sachen dort. View all comments by Actionman
Psssssst: der link war übrigens schon in meinem Artikel oben versteckt 😉 Und in meinem letzten… und vorletzten 😀 View all comments by Christian
Jetzt verrat das doch nicht, Mensch! 😉 View all comments by blumentopferde
Nee, stimmt, hast recht: hinterher angen die Leute hier noch an meine Artikel zu lesen. Wo kämen wir denn da bloß hin?
😉 😀 View all comments by Christian
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[…] nun doch noch überliest, der ist wirklich selbst schuld: Der umwerfende Erfolg des letztjährigen Symphonic Shades Konzertes zu Ehren Chris Hülsbecks hat den Machern wohl dermaßen imponiert, dass sie sich auch […] View all comments by Sinfonische Phantastereien | end of level boss
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