(Anm.:) Der folgende Artikel könnte den zwei bis drei Lesern des gerade verstorbenen EA-Play.de bekannt vorkommen. Ich möchte ihn trotzdem gerne nochmal hier einstellen, weil ich ihn für ganz geut gelungen halte… Kennt Ihr das? Ihr macht es Euch gemütlich im Sessel vor dem Fernseher bequem, schmeißt Eure Playstation an um eine Runde God of War oder Skate zu spielen, beginnt genüsslich Euch durch die ersten Wellen von Gegnern zu schnetzeln oder Euch nach und nach mit dem ausgeklügelten System aus verschiedensten Moves und Tricks mit dem Skateboard vertraut zu machen, werdet immer tiefer und tiefer hineingezogen in das Spiel, nur um am Ende festzustellen, dass Ihr Euch für mehrere Stunden an den verschiedensten Aufgaben festgebissen habt? Ohne zu merken, wie die Zeit verfliegt… Nur noch diese eine Rampe, nur noch diesen einen Bossgegner. Nur noch eine einzige weitere Kreatur im Spore Labor. Am Ende dieser Spielesession fallt Ihr völlig erschöpft in Euren Sessel zurück und seid nur noch eines: fertig, aber überglücklich. Glücklich darüber, die Euch gestellten Aufgaben geschafft zu haben. Glücklich darüber, an Ihnen gewachsen zu sein. Aber auch glücklich darüber, vielleicht eine tolle, tiefgründige Geschichte miterlebt zu haben. Ja richtig: erlebt, nicht einfach nur gesehen. Denn Ihr wart Kratos, der sich die griechische Mythenwelt Untertan gemacht habt. Ihr wart Cloud Strife, der dem finsteren Sepiroth den Garaus gemacht hat – nicht jedoch, ohne das Ende einer sehr lieb gewonnen Freundin miterlebt haben zu müssen. Ihr wart Nomad, der die Welt beinahe im Alleingang vor der Invasion einer feindlichen außerirdischen Rasse gerettet hat. Ihr wart Helden!
Und das macht Euch glücklich. — Aber ist es dieses Heldentum allein, das diese unglaublich starken Glücksgefühle in Euch auslöst? Woher kommt diese Euphorie? Warum schüttet Euer Körper so dermaßen viele Endorphine aus? Warum erlebt Ihr dieses Gefühl eigentlich nicht einmal annähernd so stark, wenn Ihr einen Film schaut? Und wie war es eigentlich möglich, dass Ihr Euch so sehr im Spiel verloren habt, dass Ihr gar nicht mitbekommen habt, wie die Zeit verflogen ist? Die Antwort auf all diese Fragen, das eigentliche Geheimnis hinter der Funktionsweise von Spielen, lässt sich in nur einem einzigen Wort beschreiben. Es heißt „Flow“. Was aber ist Flow? Und wie entsteht er? Darauf wollen wir im Folgenden nun mal ein wenig tiefer eingehen.
Zunächst einmal sollten wir aber noch mal bei der Frage anknüpfen, warum das Glücksgefühl, warum der Flow bei Spielen um so vieles stärker sein kann als bei Filmen. Nun, die Antwort darauf ist im Grunde genommen ziemlich einfach: Ein Computerspiel ist eben im Gegensatz zum Film vor allem ein interaktives Medium, bei dem der Spieler nicht einfach eine Handlung vorerzählt bekommt, sondern meistens auch noch eine riesige Spielwelt erforschen und entdecken muss, sich mit immer neuen Herausforderungen und Aufgaben konfrontiert sieht und dabei nach und nach immer tiefer in die Spielwelt und die Geschichte eindringt. Wir werden also selbst Teil des Spiels, versetzen uns innerlich selbst in die Rolle des Helden oder der Figur, die wir dort über den Bildschirm scheuchen und beginnen, uns mit der Figur – und in einem gewissen Maße auch mit ihren Handlungen – und der sie umgebenden Spielwelt zu identifizieren. Dadurch, dass wir also selbst mit Hand anlegen und aktiv Einfluss auf das Geschehen am Bildschirm nehmen können, wirkt unser Erleben sehr viel intensiver als wenn wir bloß passiv einen Film konsumieren.
Da allerdings die erzählte Geschichte bei vielen Spielen nach wie vor leider nicht sonderlich dicht oder tiefgründig ist, kann sie allein es nicht sein, die dafür sorgt, dass wir uns dauerhaft auf die Geschehnisse am Bildschirm einlassen ohne uns zu langweilen. Also muss noch etwas anderes dahinter stecken als bloß die Identifikation mit unserer Heldenfigur. Und das ist, vereinfacht gesagt, die Notwendigkeit, dass wir uns selbst aktiv einbringen, um die Geschehnisse und die Handlung eines Spiels überhaupt in irgendeiner Form weiter zu treiben. Spiele stellen uns vor die Notwendigkeit, bestimmte vorgegebene Aufgaben zu lösen, um in der virtuellen Erlebniswelt voran zu kommen. Und nicht nur in der virtuellen Welt: letztlich basiert jedes Spiel darauf, dass es uns vor eine Aufgabe stellt, die wir lösen müssen. Sei es beim Schach, beim Poker, beim kindlichen Versteck-Spiel oder eben beispielsweise in Counter-Strike. Lösen wir eine Aufgabe, erfahren wir eine positive Resonanz, zum Beispiel durch Belohnungen im Spiel. Beim Versteck-Spiel ist es das einfache Finden eines Mitspielers, bei Computerspielen könnte es etwa das Schaffen eines Levels oder das Freispielen von Bonuselementen und besonders hohen Punktzahlen sein. Haben wir schließlich eine Aufgabe gelöst, ist es aber nicht vorbei. Nein, stattdessen werden wir direkt mit der nächsten konfrontiert, damit wir auch schön am Ball bleiben und uns weiter in die virtuelle Welt vortrauen. Damit dieses Prinzip auf Dauer nicht langweilig wird, sollten die uns gestellten Aufgaben im Laufe der Zeit allerdings auch immer ein wenig schwieriger werden. Was wiederum dazu führt, dass wir uns noch mehr ins Zeug legen, um sie zu schaffen, wodurch wir gleichzeitig oftmals unsere eigenen Fähigkeiten steigern und deshalb an unseren Aufgaben wachsen. Dies kann schließlich dazu führen, dass wir von der Spielehandlung nahezu völlig absorbiert werden und völlig in ihr aufgehen. Und genau diesen Zustand bezeichnet man schließlich als ‚Flow’, genau dieser Zustand ist es, der in uns dieses grundzufriedene Glücksgefühl hervorruft.
Wer „Flow“ sagt, muss allerdings auch unweigerlich ein anderes Wort gebrauchen, von dem wir als Spieler nicht unbedingt was hören wollen, ohne das es aber leider nicht geht. Die Rede ist vom Frust. Vielen von uns ist der Frust im Spiel nur allzu gut bekannt. Meistens rührt er daher, dass wir an einer Stelle im Spiel nicht weiterkommen, weil wir diese als zu schwer empfinden, weil sie unsere eigenen erlernten Fähigkeiten überfordert oder weil sie schlicht und einfach völlig unfair designt wurde. Wer aber hätte gedacht, dass der Frust unbedingt nötig ist, um den Flow bzw. das Glück erleben zu können. Wer hätte gedacht, dass es unterm Strich erst die geschickte Verknüpfung von Frust und Flow ist, die uns in einem Spiel immer wieder zu neuen Höchstleistungen antreibt, die uns dazu bringt, weiter und immer weiter zu spielen, bis wir schließlich ganz durch sind und uns überglücklich im Sessel zurücklehnen können? Ja, tatsächlich: erst die Wechselwirkung von Frust und Flow, die geschickte Balance dieser beiden Empfindungen, setzt überhaupt erst den Motor eines Spiels in Gang. Erst die geschickte Verknüpfung von fordernden Aufgaben und angemessen verteilten Belohnungen im Spiel ist es überhaupt, die in uns den Wunsch schürt, ein Game auch wirklich weiterspielen zu wollen.
Dabei ist vor allem dieses Gleichgewicht von Frust und Flow ein sehr fragiles Konstrukt, in das Spieledesigner sehr viel Arbeit stecken müssen, damit wir am Ende ein hoffentlich perfektes Spiel erleben. Diese Arbeit wird gemeinhin Balancing genannt und soll sicherstellen, dass etwa Aufgaben und Gegner in einzelnen Leveln so verteilt sind, dass sie uns zwar fordern, aber niemals unfair werden. Denn so sehr der Frust zwar nötig ist, um uns im Spiel zu motivieren – wird er auch nur einen winzigen Ticken zu dominant, wird sich das gesamte Spielerlebnis ganz schnell ins Gegenteil verkehren und wir werden eben keinerlei Spaß mehr empfinden und somit auch keinerlei Glückshormone mehr ausschütten. Denn Frust stört nicht nur unser direktes Spaßempfinden, sondern auch unsere Konzentrationsfähigkeit und beeinflusst so auch unsere Spielweise negativ. Dadurch kann es dann zu weiterem Frust kommen, weil wir nicht mehr in der Lage sind, die vom Spiel gestellten Aufgaben zu lösen. Das Ergebnis ist, dass wir verkrampfen und umso verzweifelter versuchen, auf Biegen und Brechen im Spiel weiterzukommen, wodurch nur immer mehr und mehr Frust entsteht. Schließlich kann es bei anhaltender Anspannung auch zu körperlichen Reaktionen, wie Kopfschmerzen oder Schmerzen in den Gliedmaßen kommen. Deshalb ist es wichtig, dass wir lernen in Stresssituationen ruhig und gelassen zu bleiben, um uns angemessen auf das Spielerlebnis konzentrieren zu können und diese so genannten dysfunktionalen Stressreaktionen – wie eben Frust – zu vermeiden und stattdessen das Flow-Gefühl zu erreichen. Wer also ein Gefühl der Kompetenz bekommen will, muss völlig in seiner Aufgabe aufgehen, lernen in Stresssituationen cool zu bleiben und Stress zu bewältigen. Dadurch kann man wiederum schließlich seine eigene Frustrationstoleranz steigern, sprich: mit fordernderen Aufgaben entspannter umgehen.
Was aber macht denn nun eigentlich ein gutes Spiel aus, das ohne weiteres schafft, in uns genau die Saiten anzuschlagen, die uns glücklich entrückt vor uns hingrinsen lassen, während wir die Zeit um uns herum vergessen? An dieser Stelle wird es dann doch mal Zeit, ein wenig tiefer in die Wissenschaftskiste zu greifen und uns die Arbeit von Professor Jürgen Fritz von der FH Köln ein wenig genauer anzuschauen. Fritz hat im Laufe der Jahre insgesamt 5 Kernelemente des Flow ausgemacht, die ineinander übergreifen müssen, um uns tatsächlich das erwünschte Glücksgefühl erleben zu lassen. Diese 5 Elemente fächern sich wie folgt auf:
Als Erstes muss es zu einem Verschmelzen von Handlung und Bewusstsein kommen. Unsere ungeteilte Aufmerksamkeit muss dem Spiel gelten, ablenkende Nebengedanken und Selbstreflexion während des Spiels sollten wir deshalb so weit es geht vermeiden. Wer also spielt um den Alltag zu vergessen, ist im Grunde genommen schon mal auf dem richtigen Weg. Dies kann aber unter Umständen bis zum Verlust des eigenen Bewusstseins sowie dem Verlust von Hungergefühl, Müdigkeit und Zeitgefühl führen, weshalb Ihr unbedingt darauf achten solltet, Eure Spielesessions nicht allzu sehr ausufern zu lassen – soviel Spaß sie auch machen mögen.
Das zweite wichtige Element ist der Schwierigkeitsgrad von Aufgaben. Soll es überhaupt zu einem Flow-Erlebnis kommen können, müssen Entwickler ihre Spiele so designen, dass gestellte Aufgaben wirklich lösbar und zu bewältigen sind. Zu schwierige Aufgaben führen schnell zu Angst, Wut und Ärger, zu leichte Aufgaben wiederum zu Langeweile. Die Schwierigkeit muss aber immer ein wenig erhöht werden, um das Flow-Gefühl auch im weiteren Spielverlauf mit unseren immer weiter wachsenden Fähigkeiten zu erhalten. Gar keine so einfache Aufgabe. Also ich würde lieber nicht mit einem Spieledesigner tauschen wollen.
Als drittes muss unsere eigene Konzentration im Spiel und auf das Spiel stimmen. Flow erfordert eine große Konzentration und damit einhergehend die Zentrierung unserer Aufmerksamkeit auf ein beschränktes Stimulusfeld. Deshalb sollten sämtliche Störstimuli sowie Gedanken, die mit den Folgen der eigenenTätigkeit verbunden sind, außerhalb des Aufmerksamkeitskreises gehalten werden. Wollt Ihr also etwa nicht, dass Eure Mutter oder Eure PartnerIn Euch während des Spielens damit nervt, dass Ihr den Müll rausbringen sollt, erledigt Ihr das lieber vorher. Außerdem solltet ihr entsprechend vermeiden, Euch vorher selbst allzu viele Gedanken über ein mögliches Scheitern zu machen. Laßt einfach alles ganz in Ruhe auf Euch zukommen. Ziel ist es also, die eigene Umwelt während des Spielens vollständig auszugrenzen.
Der vierte Punkt mag zunächst banal klingen, ist aber nichts desto trotz von entscheidender Wichtigkeit: Kontrolle. Das Gefühl, wirklich alles unter Kontrolle zu haben, ist ein wichtiges Merkmal des Flow. Denn nur ein sicheres Gefühl, gestellte Herausforderungen auch bewältigen zu können, führt schließlich zur Verschmelzung mit der eigenen Tätigkeit.
An fünfter Stelle schließlich stehen die Handlungsanforderungen. An dieser Stelle können wir als Spieler wiederum herzlich wenig bewegen. Hier sind einmal mehr die Gamedesigner gefragt. Denn mit dem Flow müssen eindeutige Handlungsanforderungen und ebenso eindeutige Rückmeldungen des Spiels einhergehen. Gerade diese Eindeutigkeit macht einen weiteren besonderen Reiz bei Computer- und Videospielen aus, denn so kann es nach kurzer Zeit zu einer Automatisierung von Spielhandlungen in Bezug auf das Spielgeschehen kommen. Sprich: Dadurch, dass wir nicht jede einzelne Handlung ausdrücklich einzeln überdenken müssen, bleiben uns am Ende mehr Möglichkeiten uns zu entspannen.
Und mehr Entspannung führt wiederum zu was…?
Richtig: Glück.
Ihr seht also: Wenn Ihr Euch am Ende von Beyond Good & Evil überglücklich aus dem Sessel schwingt, froh darüber, jede Menge Unheil von der Welt abgewendet zu haben, haben (sozusagen „hinter den Kulissen“) jede Menge verschiedenster Prozesse ineinander gegriffen, die letztlich dafür sorgen, dass Ihr glücklich – und auch ein wenig stolz auf Euch selbst – sein könnt. Manche davon begründen auf der Art und Weise, wie der Designer einen Level oder einen Spielabschnitt angelegt hat, manche erwachsen aus Euch selbst und manche ergeben sich erst aus dem feinen Zusammenspiel aus Anforderungen des Spiels und der Erwartungshaltung und der inneren Einstellung, mit der Ihr selbst einen Computer- oder Videospiel begegnet. Am Ende führt das alles im Idealfall zu nur einem einzigen Ergebnis: Dass Ihr überglücklich den Computer oder die Konsole ausschaltet, in der Gewissheit, beim nächsten Einschalten mindestens wieder genauso glücklich werden zu können. — Die Spielewelt kann doch so schön sein.
….Flow! Ahja. Ich las auch über die von dir angesprochenen Faktoren…. und stimme voll zu.
Eine etwas einfachere Formel wäre diese:
(Video)-Spiele lasen mich noch ein Stückchen mehr Kind sein als es der Alltag sonst so hergibt. Und als Kind war ich halt anders glücklich als ich es heute bin. Nicht “mehr oder weniger”.
Einfach anders.
HappyGaming = Flow = Noch mehr Kind sein als sonst = Tolles Spiel und Stunden voller kindlicher Glückseligkeit.
Schönes W-Ende. View all comments by Chris
Das hast Du verdammt schön gesagt. Amen. View all comments by Christian
Das war wirklich geil!
Kommt auf den Film drauf an 😉 View all comments by MasteRehm
@Chris: Es sollte heißen: “Spiele lassen”.
Und: Amen? Wer isn das?^^
Topic: Nehmen wir Mass Effect: Sicher waren da ein paar Hürden für den “Flow” zu überwinden; trotzdem war das Feeling im und nach dem Finalen Fight einfach toll! Ich denke dies ist eine Beispiel dafür wie man “Flowig” programmieren / designen kann ohne auf alle “Wechselwirkungen” Rücksicht zu nehmen / genommen zu haben. View all comments by Chris
Aber bei Mass Effect dauert das viel zu lange, bis der Stein ins Rollen kommt. Das ist so langweilig am Anfang. View all comments by MasteRehm
Toller Artikel. Hab mich beim Lesen direkt darin wiedergefunden. Speziell was GTA3 angeht. Das war mein “Flow-Spiel”. View all comments by GeneCoon
Bei Mass Effect ist neben dem grandiosen Bombast-Finale doch auch noch die üble Vorfreude auf den Nachfolger von zentraler Bedeutung für das Glück bzw. die Zufriedenheit mit dem Spiel. Wenn es bei diesem einen Teil geblieben wäre, hätte ich schon noch was mehr zu bemängeln gehabt, aber so steht noch alles offen und man tendiert vielleicht sogar dazu, das Spiel zu überschätzen!
@MastaRehm: von der Hauptstory her war ich nach einer halben Stunde bereits voll dabei und bin nie wieder rausgeflogen. fand zwar weniger das Missionsdesign des ersten Auftrages an sich ansprechend, als die Figuren und das “authentische” Universum. View all comments by gameria
Shadow of the Colossus hat mir eher gezeigt, was für ein schlechter Mensch ich bin…die armen, armen Kollöser. 😉 View all comments by DerKleineDude
[…] Glücksseeligkeit – oder: Warum freu ich mich beim Spielen eigentlich so?: Schöner Artikel von endoflevelboss.de über den Flow (Wikipedia erklärt dem Nichtwissenden: das lustbetonte Gefühl des völligen Aufgehens in einer Tätigkeit) im Videospiel. Interessant, gut und auch unterhaltsam geschrieben. Lesen! […] View all comments by Lesenswert im August | halozination.de