Verklärter Rückblick

Es ist manchmal wirklich befremdlich, wie sehr das Gehirn offenbar dazu neigt, das eigene Erinnerungsvermögen mit einem rosafarbenen Schleier der Glückseeligkeit zu verhüllen, um uns die als positiv empfundenen, kleinen Erlebnisse des Alltags auch viele Jahre später noch als magische Momente voll himmelhoch jauchzender Selbstverarschung zu präsentieren. Dieser Gedanke ging mir durch den Kopf, als ich mich kürzlich durch eine Flut von Youtube-Videos zu alten Amiga-Spielen gewühlt habe, in Vorbereitung auf unseren soeben erschienenen, zehnten Polyneux-Podcast. Die “Freundin”, der beigegraue Tastatur-Computer aus dem Hause Commodore, war unser Thema in gemütlicher Runde am Samstagabend. Und wie es sich für einen alten Mann gehört, hatte ich – unfassbar aber wahr – einen großen Teil der Spiele, die ich mir damals, in den frühen Neunzigern, mit soviel Freude und Genuss zu Gemüte geführt habe, heute schon wieder beinahe völlig verdrängt.

Das mag zwar natürlich sein, ist aber mehr als traurig. Klar, an herausragende, allenorts gefeierte Highlights wie Turrican, Apidya, Syndicate, Populouos und wie sie alle hießen, erinnert man sich noch ohne weiteres – wenngleich nicht immer im Detail. Aber was ist mit all den Kleinoden? Was ist mit den Spielen, die auf breiter Ebene nicht so häufig Erwähnung fanden und finden? Haben die seinerzeit etwa keinen Spaß gemacht? Doch! Und wie!

Auf eine kleine Auswahl solcher Titel, die leider selbst in unserem Podcast keinerlei Erwähnung gefunden haben (allerdings zumindest in unseren Shownotes verlinkt wurden), möchte ich hier nochmal ganz kurz eingehen. Denn neben den “Blockbustern”  Turrican, Superfrog, Speedball 2, Apidya, Pinball Dreams, Chaos Engine und wie sie alle hießen, waren und sind es doch vor allem immer wieder die “kleineren” Titel, die uns oftmals besondere Freude bereiten.

Erinnert sich jemand beispielsweise noch an First Samurai? DasVivid Image Game (das von mir geistig seltsamerweise immer System 3 zugeordnet wurde und nicht mit The Last Ninja zu verwechseln ist) um den Kampf eines jungen Samurai gegen einen Dämonenkönig, dargeboten als Sidescrolling-Action-Adventure à la Lionheart? Im Grunde hatte es stellenweise sogar gewisse Ähnlichkeiten mit Turrican – zumindest was das Leveldesign angeht. Ich habe damals wohl unzählige Stunden in diesen Titel investiert, nur hängengeblieben ist leider so gut wie gar nichts davon. Wäre ich nicht zufällig bei Youtube darüber gestolpert, ich hätte es wirklich völlig verdrängt. Dabei war es nicht nur grafisch durchaus ansehnlich, sondern spielte sich auch noch prima – und machte auf meinen vielleicht 15jährigen Verstand damals einen sehr atmopshärischen Eindruck. Und so sah es aus:

Beispiel 2: Desert Strike – Return to the Gulf aus dem Hause Electronic Arts (damals noch mit dem schönen alten Logo). Ein Kampf-Heli-Action-Strategie-Game aus, seinerzeit wirklichansehnlicher, Iso-Perspektive, bei dem es darum ging, ein Kampfgebiet im Golf möglichst wohlüberlegt von feindlichen Einheiten zu säubern, Geiseln oder Zivilisten einzusammeln und diese wohlbehalten zur Heimatbasis zurückzubefördern (ich abstrahiere). Da Treibstoff und Munition permanent knappe Güter waren und die Notwendigkeit des wiederholten Auftankens an fest definierten Punkten auf der Karte während des gesamten Einsatzes immer wieder gegeben war, musste man sich seine Flugroute möglichst geschickt einteilen. Außerdem wollte gut überlegt sein, welche Gegner man angreift und welche man lieber zunächst links liegen lässt. Eines der leider weniger beachteten, aber umso grandioseren Spiele der damaligen Zeit.

Zu guter Letzt sei noch das von mir bereits im Podcast erwähnte, von niemandem meiner geschätzten Blog-Kollegen gekannte Jim Power in Mutant Planet des französischen Publishers Loriciel in den Ring geworfen. Jenes stach – für mich – vor allem durch zwei besonders markante Merkmale hervor. Zum Einen war da dieser geradezu unverschämt grandiose Soundtrack meines All-Time-Lieblingskomponisten Chris Hülsbeck, der es geschafft hat, dem an sich althergebrachten Gameplay in Eigenregie ein Höchstmaß an Spielermotivation einzuhauchen. Allein der Titeltrack war bereits dermaßen groovend nach vorne preschend, dass ich dereinst nicht anders konnte, als meinen Amiga an die heimische Stereoanlage zu stöpseln und jene bis zum Anschlag aufzudrehen. Zum Anderen war da noch diese damals wirklich hübsche Grafik mit ihrem vielschichtigen Parallax-Scrolling, die ein gerüttelt Maß an Eyecandy zu bieten hatte.

Leider wird hier der eingangs erwähnte Verklärungsschleier besonders deutlich spürbar – denn, ich kann es nicht anders sagen: als ich mir neulich das Video zu Jim Power nochmal zu Gemüte geführt habe, bin ich schlicht und ergreifend wahnsinnig erschrocken, wie schlecht die Optik doch gealtert ist.

Nach all der verklärten Retro-Nostalgie hätte ich nun aber doch mal wieder Lust, mich für gut und gerne zwei Wochen in mein stilles Kämmerlein einzuschließen und all jene von mir geliebten Klassiker nochmal aufleben zu lassen. Schade nur, dass der, von mir vor 3 Jahren nochmal bei eBay erworbene, Amiga 600 ohne Monitorkabel und Joystick daherkam. Schade auch, dass all die Disketten von damals heute leider weitestgehend unbrauchbar sein dürften. Und schade vor allem, dass ich, selbst wenn ich wollte, sowieso keine Zeit für derartiges hätte. Muss halt doch weiterhin der rosarote Schleier seinen Dienst verrichten.

5 Comment

  1. Für C64-Fans gibt es doch diese Joysticks mit 20, 25 Spielen, welche man direkt an den Fernseher anschließen kann.

    Gibt es sowas nicht auch mit Amiga-Spielen?? View all comments by Nico79

  2. Ja, gibts. Hab´ ich zu Hause mit ´nem Competition-Pro. Allerdings sind die dazugepackten spiele leider nicht die Besten. View all comments by ObiWanBerlin

  3. Ich empfehle dann auch gleich noch eine Runde Carrier Command, gefolgt von einem Durchlauf in Millenium 2.2. Wenn dann die Lust auf etwas Fantasy stärker wird, kommt Rings of Medusa ins Laufwerk und wir erinnern uns an den fingerbrechenden Cheat “desoxyribonukleinsäure” für das Ding. Dann noch eine Runde X-Out oder Blood Money, bevor es ins Bett geht und man von Skweek oder Rock’n’Roll träumt.

    Es gab nun wirklich mehr tolle Sachen für den Amiga als nur die paar Standardknaller, die immer genannt werden. Apydia fand ich übrigens gar nicht sooooo toll – das mag aber an meiner Bienenallergie liegen. View all comments by Zappes

  4. Emulatoren und ROMs gibts doch reichlich im Internet, oder ist das dann nicht “true” genug? View all comments by moep

  5. Ich spiele seitdem ich denken kann und war in Sachen C64 sowie Amiga ein Fanatiker. Oft ertappe ich mich dabei, wie ich in Erinnerungen die guten, alten Zeiten liebe und alles besser war. Danke der relativ guten Emulatoren oder der Möglichkeit über aktuelle Konsolen Retro-Feeling mit HD-Rahmen zu erhalten, werde ich immer wieder hart auf den Boden geholt. Ich war und bin jetzt noch immer eine Grafikhure und die Gefühle für “alte” Games einfach durch den Weichzeichner gejagt. Ein Blick wie bei den Emmanuelle-Filmem vergangener Tage. View all comments by Einzelspieler

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