Warum wir den Bösen spielen und trotzdem gut sind

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*Ächz* Eigentlich ist es ja viel zu heiß um im dunklen Kämmerlein vor dem Rechner zu hocken. Geschweige denn um irgendwas zu posten. Ich will es aber trotzdem mal probieren. Hier soll ja auch nix brachliegen. So ein einjähriges Jubiläum ist ja auch nichts, auf dem man sich länger ausruhen kann. Also frisch ans Werk… so mehr oder weniger. Wir sind schon wieder beim Overlord. Diesmal aber nur ganz am Rande, denn der eigentliche Artikelaufhänger ist ein ganz anderer. Allerdings war es eben genau die Review von Spieler 2 zu dem Fantasy-Comedy-Kracher, die bei mir die Frage aufgeworfen hat, wieso man eigentlich dazu neigt, in Videospielen eher den Weg des Guten zu gehen. Also wenn man die Wahl hat zwischen Gut und Böse. Oder – wie bei Overlord – zwischen Böse und… äh, irgendwie nicht ganz sooo böse. Ein Phänomen, bei dem ich mich in trauter Gesellschaft mit Spieler 2 befinde. Nehmen wir etwa Knights of the Old Republic: Was könnte man da böse sein und alles fies über den Haufen schnetzeln und brutzeln. Mal so richtig die Sau rauslassen. Was aber mache ich? Ich entscheide mich für den guten Weg. Helfe anderen, behalte nicht jedes Item für mich und beschütze die Schwachen vor dem fiesen Sith-Imperium (oder wie das da hieß).

Na gut, so ganz hundertprozentig hab ich es auch nicht geschafft, mich immer nur auf der guten Seite der Macht zu bewegen. Aber zumindest bemüht hab ich mich. Oder nehmen wir Fable. Das hab ich zwar nur angespielt, aber auch da hab ich mich redlich bemüht, mich auf die Seite des Lichts zu stellen und ein gutaussehender, smarter Typ mit freundlichem Antlitz zu werden. Was an und für sich schon gar nicht so einfach ist, wenn einen die ganze Bevölkerung verspottet, bloß weil man mal ein Huhn getreten hat. Oder zwei…. oder auch drei :-/ . Und ähnlich kann es ja selbst bei Overlord laufen. Einem Spiel, bei dem man zu Beginn doch regelrecht froh ist, nicht noch ein weiteres Mal den doofen strahlenden Held spielen zu müssen, der die Welt vor dem Unheil rettet. Doch im Grunde läuft es selbst hierbei noch fast genau so: Wir ‘retten’ die Bevölkerung vor den nervigen Halblingen, die ständig nur Randale machen und alles verwüsten. Da stört es den menschlichen Teil der Welten-Bewohner herzlich wenig, dass wir eigentlich von Grund auf böse sind und unseren dunklen Turm wieder aufbauen wollen. Zwecks Unterjochung der Welt, versteht sich. Hauptsache es kommt mal jemand mit einer starken Hand und sorgt für Ruhe. Haha, genau wie in den Dreißig… äh, nein, doch nicht.

Nun könnte man natürlich auch die Menschen und Elfen genauso triezen. Aber ich für meinen Teil würde das wahrscheinlich nicht tun. Genauso wenig, wie es Spieler 2 anscheinend über das Herz bringt. Und warum nicht? Ist doch klar: Da stehen wir in dieser wunderschönen, grün sprießenden, mit freundlichen Farben übersähten Landschaft und sollen all das zerstören? Um alles in triste Farben, depressive Stimmung und ein Bild der Zerstörung zu verwandeln? Ja ist denn die Welt da draußen nicht schon trist und deprimierend genug? Reichen die ständigen Nachrichten von Klimakatastrophen, Hungersnöten, Massenarbeitslosigkeit und neuen Serien auf RTL2 nicht schon aus, um uns herunter zu ziehen? Müssen wir das auch noch in Spielen haben, die durch ihr farbenprächtiges Design und – mit etwas Glück – einer gehörigen Prise Humor für eine äußerst positive Grundstimmung beim Spieler sorgen?

Oder warum eine recht triste, technologisierte Welt wie die in KotOR noch unwirtlicher machen? Die Vollspacken von der Gamestar haben dereinst an Black & White 2 kritisiert, dass es viel leichter wäre als böser Gott die Welt zu unterwerfen, statt als guter Gott per mühsamem Städtebau etc. sein Herrschaftsgebiet zu vergrößern. Ja toll, Ihr Nasen. Aber die gute Welt von Black & White sieht einfach um so vieles schöner aus. Warum sollte ich mich also mit der drögen düsteren zufrieden geben? Da entfliehe ich doch lieber all meinen Sorgen und Ängsten und genieße den Aufenthalt in einer fremden Welt, die ich durch mein Handeln vielleicht sogar zu einem noch besseren Ort machen kann. Jaahaa! Eskapismus pur! Und warum sonst wohl versuchen so viele Menschen sich mittlerweile in die Parallelwelt von Second Life zu flüchten, verbringen so viele Leute den Großteil ihrer Freizeit in den Weiten von Azeroth? Warum wohl verkaufen sich einzelne, friedliche Titel wie Die Sims oder Nintendogs immer noch soviel häufiger als selbst die großen Action-Topseller? Weil wir dort alle bessere Menschen sein können, strahlende Helden, die von ihren weltlichen Unzulänglichkeiten und dem drögen Alltag entbunden sind. Im Grunde genommen sind wir damit schon wieder bei einem ganz anderen Thema und der Frage, welche psychologischen und gesellschaftlichen Prozesse dazu führen, dass wir uns mittels virtueller Welten der realen Welt zu entziehen versuchen. Eigentlich wollte ich bloß mal die Frage klären, warum in Spielen die dunkle Seite so verdammt unsexy zu sein scheint. Und ob es noch wem anders so geht.

Ach ja, wo wir gerade bei Eskapismus sind: Ich war gestern mal wieder im Wald. Zum ersten Mal seit Jahren eigentlich. Ist schön. Da kann man auch dem Lärm und Alltagsstreß entfliehen und sich mal wieder so richtig schön locker machen. Kann ich nur zur Nachahmung empfehlen. Wenn doch bloß die ganzen Viecher nicht wären, die einen da so umschwirren.

Edit: Einen kleinen Gedanken habe ich bei der ganzen Überlegung sogar glatt noch vergessen: Sind wir am Ende vielleicht gar nicht so böse, weil wir es einfach nicht können? Und spielt der Wille am Ende nur eine ganz untergeordnete Rolle? Weil wir – obwohl die Forschung uns Videospielern immer wieder absprechen will – doch über ein äußerst ausgeprägtes Emphatie-Bewußtsein verfügen? Die Fähigkeit mitzuleiden? Uns in die zu quälenden Figuren da auf dem Bildschirm einzufühlen? Damit würde sogar ein ganzer Zweig der derzeitigen Wirkungsforschung komplett in sich zusammenfallen. Von wegen Killerspiele und Abstumpfung durch aktive Ausführung virtueller Gewalt. Im Grunde wollen wir doch alle bloß mal ein bißchen ausspannen.

11 Comment

  1. Geht mir genauso wie dir. Und jetzt habe ich irgendwie das dringende Bedürfnis, mir KotOR 2 zu schnappen, dass ich noch nie so richtig begonnen sondern immer nur halbherzig angespielt habe, und zu testen ob es wieder genauso läuft oder ob ich es tatsächlich mal schaffe, ein “bad ass” zu werden.

    Zwei Anmerkungen noch:

    Die Passage mit den Dreißigern, also eigentlich nur der eine Satz, ist hart an der Grenze. Ich fand den erst gar nicht gut, habe dann nochmal die ganze Passage gelesen und muss jetzt sagen, dass es halt einfach ganz schön beissende Satire ist. Aber Vorsicht: Dieser Grat ist schmal.

    Und hey: Bei der Gamestar mag es Vollspacken gehen, aber nicht wenige haben’s echt drauf. View all comments by Knurrunkulus

  2. Über den Satz mit den Dreißigern hab ich auch echt lange nachgedacht… So ein wenig Angst hab ich immer noch, dass den einer nicht richtig versteht. Aber im Endeffekt ist es nur eine bitterböse Satire, wie die Titanic sie auch nicht abgeschwächter bringen würde. Und im Zweifelsfall schieb ichs auf den bösen Einfluss der Hitze da draußen 😉

    Ich les die GameStar übrigens auch immer mal, und so doof wie viele Antigamer finde ich sie ja auch gar nicht. Aber manchmal, da frag ich mich dann schon, ob die überhaupt ne Ahnung haben, was die da grad gespielt haben. Man erinnere sich nur mal an die legendär-unsägliche Review zu Psychonauts. Brrrr….scheußlich. View all comments by Christian

  3. Erinnert mich an Jedi Knight, den ersten Teil (a.k.a. Dark Forces 2). Je nachdem, wie man sich verhielt, driftete man mehr zur hellen oder der dunklen Seite der Macht, bis zum Zeitpunkt der Entscheidung: tötet man die langjährige Freundin oder rettet man sie? Von da an hat man entweder gute oder böse Macht-Fähigkeiten. Die bösen machen doppelt so viel Spaß, trotzdem steht man irgendwie unter dem Zwang, es Kyle Katarns verblichenem Vater gleichzutun und die eigenen Fähigkeiten nur für das Gute zu nutzen. Zumindest ging es mir so.
    Trotzdem hab ich es auch als dunkler Jedi durchgespielt, nur um das alternative Ende zu sehen. Dafür musste ich mich natürlich möglichst evil verhalten und hab jeden Zivilisten in Reichweite erschossen und zersäbelt. Das ging aber keineswegs so natürlich von der Hand wie beim ersten Durchlauf. Ich musste mich quasi bemühen, böse zu sein.
    Zusammenfassung: auch mir kam die dunkle Seite unsexy vor, seltsamerweise. Und jetzt hätt ich gern eine Untersuchung der psychologischen und gesellschaftlichen Prozesse. 😉 View all comments by blumentopferde

  4. Ich glaube allein schon aus soziologischer Sicht wäre das ein höchstspannendes Thema. Obs da Literatur zu gibt? Muss ich dieser Tage mal recherchieren. Vielleicht läßt sich da noch ein Essay draus stricken. Im Zweifelsfall wäre das schönes Artikel-Futter für GameParents.de View all comments by Christian

  5. Ich schließe mich dem “Overlord”-Problem an. Auch ich bin mit der Erwartung eines “bösen” Spiels durch das Turmportal gewandert, aber schon ein Kumpel machte mich darauf aufmerksam, dass es seltsam sei, Halblinge mit böser Energie auszuschalten. Damals hatte ich noch gedacht: “Naja, Konkurrenz muss halt aus dem Weg geräumt werden.”
    Ich habe zwar Korruptheit geerntet, allerdings nur 12% Davon ist ein Teil volle Absicht gewesen, der andere ein Versehen (Feuer wichtige Pflanzen = nicht gut). Und das baut sich zu allem Überfluss auch langsam wieder ab. Warum? Weil ich es nicht über’s Herz bringe, die ohnehin schon von mir aufgrund Nahrungsmittelentzugs gebeutelten Dörfler mit in meine Lebensenergie-Sammel-Pläne miteinzubeziehen.
    Und selbst wenn das Spiel mir sagt, es gäbe als Gesinnungen “böse” und “noch böser”, so glaube ich das allein aufgrund der Namen der Zauber-Stufe 3 nicht. “Heldenlegion”? “Himmelsschild”? Klingt nicht gerade böse.
    Wenn ich an meine “Fable”-Spielzeit denke: Auch da habe ich den strahlenden Helden gespielt. Stets freundlich gehandelt und Unschuldige sowie manche Feinde, die um Gnade bettelten, am Leben gelassen. Gut, das Stehlen aus Häusern konnte ich dann doch nicht lassen, aber das hat meine Statistik nicht mal geringfügig beeinflusst.

    Ich weiß nicht woran es liegt, aber wann immer mir ein Spiel die Wahl lässt, ob ich den bösen Macker raushängen lassen oder doch lieber die Rolle des rechtschaffenden Helden spielen möchte, ich wähle die gute Seite. Wahrscheinlich eine Gewohnheit, die mir die ganzen “Helden-Spiele” eingetrichtert haben und von der ich nicht mehr loskomme.

    Sollte ich übrigens noch erwähnen, dass mir immer ein Schauer über den Rücken läuft, wenn ich in gewissen Spielen sehe, wie Unschuldige zu Schaden kommen (z.B. in Rollenspielen, aber auch in Action-Spielen)? Und da soll mir jemand unterstellen, ich wäre ein kaltblütiger “Killerspieler”. 😉 View all comments by Alanar

  6. Fable war in dieser Hinsicht eh ein Witz. Mann konnte durch die Wahl seiner Frise, seines Schnürres und der Kleidung ungefähr 10x mehr Bosheitspunkte sammeln als durch seine Taten. Völlig verfehltes Spielprinzip. Ich habs übrigens als “Böser” gespielt. Was nicht immer einfach war, weil wenn man zum Beispiel ein Räuber-Lager ausheben sollte, und die Bande mundtot gemacht hat, war man auf einmal wieder ein ganzes Stückchen weiter auf der guten Seite. Weil Räuber töten=gut. Doof ist nur, wenn das ein Main-Quest ist.

    Wie dem auch sei, normalerweise spiele ich auch die “Guten”. Ich stimme da Spieler2 zu, dass man aufgrund seiner Videospielerfahrung konditioniert ist. Übertragen auf Verhaltensweisen ins “RL” kann man da meiner Meinung nach nichts. View all comments by fafu

  7. @Alanar: ich glaube, wir Videogamer sind im Grunde unseres Herzens einfach doch viel zu gut für diese Welt. Siehe auch ‘Edit’ oben.

    @fafu: Diese Unterscheidung, was jetzt böse und was gut ist scheint so ein generelles Problem bei Molyneux zu sein. Soll ja in B&W2 nicht anders gewesen sein. Grundsätzlich sind solche Systeme bei Spielen einfach noch nicht ausgereift genug. Da finde ich das System von The Witcher, bei dem bestimmte Handlungen einfach generelle Auswirkungen auf das weitere Spielgeschehen haben, doch um einiges interessanter. Die Trennung zwischen gut und böse wird da praktisch von vornherein ausgehebelt. View all comments by Christian

  8. Würd sagen, der gute Charakter is einfach schon so eingestanzt in unser Gehirn, weil wir seit Jahren und Jahrzehnten den edlen Weltenretter spielen. Ich persönlich brings in solchen Spielen auch nie zusammen das völlige Arschloch zu sein, bei Wahlmöglichkeiten nehm ich höchstens zu 50% die des Bösen. Könnte aber auch daran liegen, wie sehr man im wahren Leben ein schlechter Mensch ist 🙂 View all comments by jetsetradio

  9. Könnte aber auch daran liegen, wie sehr man im wahren Leben ein schlechter Mensch ist

    Eigentlich die einzig logische Konsequenz 😉 View all comments by Christian

  10. […] ihre Motivation, ihr Leid und ihr Hintergrund sonderbar gleichgültig bleiben. Hab ich vor kurzem noch überlegt, was es wohl sein mag, dass uns in Spielen unsere böse Seite hervorkehrenläßt, hatte ich in […] View all comments by end of level boss » | » Would you kindly… try not to get bored?!?

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